- 156 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Bildpostkarten traten vereinzelt bereits ab 1870 auf, massenhaft aber erst kurz vor 1900. Bis 1905 durfte nur die Bildseite beschrieben werden: das bürokratische Interesse an übersichtlich-formularmäßiger Anordnung geht vor dem Gebrauchswertinteresse an ästhetisch integren, unversehrten Bildern. Erst ab da entstand die bis heute übliche Zweiteilung in Adreßteil und Schreibteil. Die Bildseite konnte frei bleiben. (Vgl. Kaufmann, 165 f.)

Der Grundstein des Postkarten-Erfolgs wurde im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 gelegt; die räumliche Trennung zwischen Front und Heimat schuf einen Kommunikationsbedarf, insbesondere für die »ungebildeten Schichten«, aus denen sich die große Mehrheit des Militärs zusammensetzte.

Die Gebührenfreiheit für den Postkarten-Verkehr zwischen Front und Heimat mag das Ihrige dazu getan haben, daß allein in den ersten fünf Monaten des Krieges, also bis Ende 1870, circa 10 Millionen Karten von der Front in die Heimat verschickt wurden. Nach Kriegsende setzte ein regelrechter Boom in der Herstellung, dem Vertrieb und dem Verschicken von Postkarten ein. Durch die Anwendung neuer und verbesserter Drucktechniken entwickelte sich Deutschland schnell zum Zentrum der »Postkarten-Kultur«. [...] Gegen Ende des Jahrhunderts erreichte das »Postkartenfieber« auch Frankreich, England und Amerika: 1899 gab es allein von Paris 3000 Postkartenmotive.2

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Glaser/Werner, S. 327 f. Ob das Stereotyp von der deutschen Postkarten-Schreib-Manie stimmt, sei dahingestellt. Jedenfalls meinte z. B. die englische Zeitung The Standard 1899: »Der reisende Teutone scheint es als seine feierliche Pflicht zu betrachten, von jeder Station seiner Reise eine Postkarte zu schicken, als befände er sich auf einer Schnitzeljagd. Seine erste Sorge, nachdem er ein einigermaßen bemerkenswertes Reiseziel erreicht hat, ist es, ein Gasthaus zu finden, wo er abwechselnd sein Bier trinkt und Postkarten adressiert.« (Wolfgang Till, Alte Postkarten, München 1983, S. 26, zit. nach Glaser/Werner, S. 328.)

Bereits seit 1886 gibt es einen Urheberrechtsschutz für Bildreproduktionen, der die Graphiker, wenn nicht zu Innovationen, so doch zu Variationen des Vorhandenen zwang. (Vgl. Kaufmann, 173.)

Das einheitliche Format erleichterte im Vergleich zu älteren Brieftypen Massenproduktion, Serienbildung und Sammeln sehr (vgl. Kaufmann, 167). Bildpostkarten und die – technisch aufwendigeren – »Umschlagskarten« bildeten die beiden Hauptarten. Weitere Differenzierungsmerkmale, die sich mit den anderen überschneiden, kommen von Druck und Ausstattung her. Hier war das häufigste Verfahren die farblich sehr nuancierte Chromolithographie. Besonders bei den Bildpostkarten findet sich eine logisch-historisch weitgefächerte Gattungs- bzw. Genredifferenzierung:

a) Ansichtskarten: Gruß-aus-Karten, Reklamekarten, Leporellokarten, Riesenkarten, Ausstellungs- und Festkarten, Schüler- und Studentenkarten, Reservistenkarten.
b) Gelegenheitskarten: Weihnachts- und Neujahrskarten, Osterkarten, Pfingst- und Maikarten; Glückwunschkarten zum Schulanfang, Geburts- und Namenstag, zur Konfirmation und Kommunion, Verlobung, Hochzeit / (Grüne, Silberne und Goldene), zu Jubiläen; Beileidskarten.
c) Genrekarten: Scherz-, Ulk- und Juxkarten, Aprilscherzkarten, Bade- und Moorkarten, Blumen- und Spruchkarten, Liederkarten, Liebeskarten, Bier- und Kegelkarten, patriotische Karten, religiöse Karten.


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