Wenn ein Musikforscher bei Mozart
einen sorglosen Umgang mit Geld und Gläubigern befürchten musste, schuf er eilends
mit einer verschwenderischen Ehefrau einen Sündenbock, eine Kunstfigur, die
geeignet war, die Last der Verfehlung auf sich zu nehmen und den Helden neben
sich umso strahlender und makelloser erscheinen zu lassen. Wenn wir – was
in der heutigen Biografik selbstverständlich sein sollte – auf die traditionelle
bühnenwirksame Gruppierung verzichten und den Versuch machen, die Frauen um
Mozart als eigenständige Personen wahrzunehmen, zeigen sich erstaunliche Fakten,
ergeben sich neue Perspektiven und Ansichten – nicht zuletzt auch von Mozart
selbst.
Um den notwendigen Perspektivenwechsel zu verdeutlichen, will ich als Beispiel
Magdalena Hofdemel voranstellen. Sie ist die Hauptfigur einer Skandalgeschichte, die
bald nach Mozarts Tod in Wien kolportiert wurde. Magdalena Hofdemel war Schülerin
Mozarts, ihr Mann, Franz Hofdemel, ist als einer von Mozarts Gläubigern in die
Geschichte eingegangen. Am 6. Dezember 1791, einen Tag nach Mozarts Tod, hatte sich
Franz Hofdemel mit einem Messer auf seine Frau gestürzt, ihr im Gesicht, am Hals, an
der Schulter und an den Armen Schnittwunden beigebracht und sich dann selbst das
Leben genommen. Magdalena, damals im fünften Monat schwanger, überlebte
und brachte im Mai 1792 einen Sohn zur Welt. Nach dem Drama im Hause
Hofdemel verbreitete sich in Wien das Gerücht, Magdalena Hofdemel habe ein
Verhältnis mit ihrem Lehrer gehabt, Mozart sei der Vater des Kindes, und
Hofdemel habe sie in einem Anfall rasender Eifersucht verstümmeln oder töten
wollen. Damit nicht genug: Da die Umstände um Mozarts Tod und Begräbnis
ebenfalls bald die Fantasie beflügelten, hieß es auch, Hofdemel habe Mozart
vergiftet.
Die Vergiftungstheorie ist längst aus der Welt, und auch eine Liebesgeschichte zwischen
Wolfgang und Magdalena gilt als eher unwahrscheinlich. Trotzdem lässt seit Hermann
Abert2
Hermann Abert, W. A. Mozart. Neubearbeitete und erweiterte Ausgabe von Otto Jahns
Mozart, 2 Bde., Leipzig 7. Aufl. 1955 f., Bd. II, S. 698 f.
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und bis hin
zu Francis Carr
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Francis Carr, Mozart und Constanze, aus dem Engl. von Dietrich Klose, Stuttgart 1986, S.
205–218.
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kaum ein Biograf diese Schauergeschichte aus. Bisher hat sich noch kein Autor gefunden,
der sich dafür interessiert hätte, wer Magdalena Hofdemel – außerhalb der Legenden um
Mozart – eigentlich war.
Und dies ist die Überraschung: Magdalena Hofdemel gehört zu den wenigen Frauen, die
bereits im 18. Jahrhundert eine Karriere als Instrumentalsolistinnen anstrebten. Sie
wurde 1766 in Brünn geboren. Ihr Vater Gotthard Pokorny war dort Kapellmeister
an der Peterskirche und bildete seine Tochter nicht nur am Klavier, sondern
bemerkenswerterweise auch an der Geige aus. Beide traten zusammen in Konzerten auf,
und Mozart, dem sie vorspielten, soll ihnen zu Konzertreisen geraten haben – ein
finanzielles Risiko, das damals nur überdurchschnittliche Musiker eingehen
konnten. »Mancherlei Umstände«, so formuliert