Bomber-Angriff
auf Köln. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wussten sich alle deutschen Großstädte in der
Gefahr eines flächendeckenden, also auch gegen die Zivilbevölkerung gerichteten
Bombardements. Berlin, Hauptstadt des »Dritten Reiches« und Machtzentrale der NSDAP
und ihrer verbrecherischen Kriegsführung, war ab Januar 1943 verstärkt von Luftangriffen
betroffen.
4
Bomben (in Tonnen) auf Deutschland: 1940: 10.000 / 1942: 40.000 / 1943: 120.000 /
1944: 650.000. (Hermann Kinder / Werner Hilgemann, dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Bd. 2,
München 1966, S. 200.)
|
Zuvor nahmen die flächendeckenden Tagesangriffe in Großverbänden derart zu, dass ein
halbwegs geregeltes ziviles Leben nahezu unmöglich wurde. Dennoch versuchten die
Menschen verzweifelt, so lange wie möglich ein »normales« Leben zu führen. In
Berlin standen sich früh erkennender Pessimismus und Trotz-Optimismus in
der Bevölkerung krass gegenüber, wie es unzählige autobiographische Berichte
dokumentieren.
5
Zum Beispiel: »20. April 1943: Führers Geburtstag! Überall geflaggt, dabei ist die halbe Stadt
geflüchtet.« Ursula von Kardoff, Berliner Aufzeichnungen 1942–1945, München 1976, S. 43.
|
Hitler führte ab 1941 Krieg auf dem Balkan, in Afrika und vor allem in Russland.
Viele Familien bangten um ihre Angehörigen an der Front. Professionelles und
freizeitorientiertes Kultur- und Musikleben in noch so bescheidenem Rahmen und so
lange, wie es irgendwie möglich war, halfen die akute Bedrohung und die psychische
Belastung vorübergehend etwas zu verdrängen. Die Mitglieder der Liebhaberorchester
gingen zu den Proben, um für zwei Stunden mit Mozart und Schubert Wochenschau und
Sondermeldungen zu vergessen. Das OBM erarbeitete als Orchestergemeinschaft unter
Celibidache Musik, die als zeitloses kulturelles Erbe das seelische Rückgrat stärkte,
während zeitgleich sowjetische Winteroffensive und deutsche Sommeroffensive in
Russland auf ihr katastrophales Ende zusteuerten. Am 29. 11. 1942 dirigierte Celibidache
das letzte Sinfoniekonzert, am 6. 12. den letzten Auftritt im Rahmen einer
Festveranstaltung, am 31. 1. / 2. 2. 1943 kapitulierten die Überlebenden der deutschen
Armee in Stalingrad.
Bezeichnend die Tagebucheintragung einer Berliner Journalistin am 25. 1. 1943:
Groteskes Leben: Abgründe der Trauer, und dann wieder stundenweise
so, als gäbe es ein friedliches Dasein, in dem unsere Bequemlichkeit
wichtig ist. Zugleich vollzieht sich in Stalingrad etwas Unbeschreibliches.
Radio und Zeitung tun das ihre mit einem Trommelfeuer der Stalingrader
Leiden. Eine Tragödie, die bereits wieder als Propaganda frisiert wird.
Schließung aller Bars und Luxusläden, dazu Frauendienstverpflichtung als
Gesetz. Sie sollen genauso eingezogen werden wie die Männer. Das wird
die Stalingrader Strategie auch nicht wieder gutmachen. Es ist grotesk. In
der Redaktion allgemeine Hysterie, weil dauernd andere Befehle aus dem
Promi [Propagandaministerium] kommen. Alle blass, nervös, mager und
verzweifelt.6
Kardoff, a. a. O., S. 29.
|
Die Proben des OBM wurden eingestellt, der Laienmusikbereich war nicht mehr
lebensfähig. Die Berliner Philharmoniker, Symbol deutscher Orchesterkultur, versuchten
dagegen durchzuhalten. Ein Augenzeuge berichtet von der auch dort unvermeidlichen
Kapitulation: