- 327 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (326)Nächste Seite (328) Letzte Seite (435)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Peter Petersen
Hans Werner Henze – ein Romantiker des 20. Jahrhunderts?

Henze ein Romantiker? – das ist offenbar eine rhetorische Frage. Rhetorische Fragen sind nicht dazu da beantwortet zu werden. Entweder tragen sie ihre Antwort bereits in sich – zum Beispiel: »Stammt der berühmteste Hochzeitsmarsch der musikalischen Weltliteratur etwa nicht von Mendelssohn?«, oder aber sie sind absichtlich falsch gestellt – zum Beispiel: »Ist Hans Werner Henze ein Romantiker des 20. Jahrhunderts?« Antwortete man mit »Ja«, würde Henze zu einem um 200 Jahre verspäteten Komponisten erklärt werden, was er nicht ist; antwortete man mit »Nein«, würde man unterdrücken, daß Henze eine große Liebe zur Kunst, Literatur und Musik der Romantik hegt. Gerade Felix Mendelssohn Bartholdy bedeutet Henze sehr viel. Aus Anlaß der Mendelssohn-Festtage in Leipzig 1997 äußerte er: Für die deutsche Musik – was sage ich: für die Musik der Welt ist das Œuvre Mendelssohns ein Ereignis besonderer Art, ein epochemachendes, stilbildendes Beispiel. Was wir von Felix lernen können, das ist – neben seinem wagemutigen gesellschafts- und kulturpolitischen Engagement – die in seiner Musik so wesentliche, seine Musik auf besondere Weise auszeichnende Anmut. Ich wiederhole das heute mit einem finsteren Tabu versehene Wort, den verlorengegangenen Begriff »Anmut«. Ach wäre doch etwas mehr von dieser »gratia«, dieser Grazie, dieser Anmut im Musikdenken und -fühlen unserer Zeit noch vorhanden, irgendeine verblieben oder nachgewachsen! Anmut, das setzt ein Gefühl für Maß voraus, auch ein Gefühl für Maßstäbe, und virtuose Beherrschung der Formen, einen immer wieder modernen, innovativ-kreativen Umgang mit diesen Formen und Gestalten, Gegenständen kulturellen Bewußtseins. Das sind doch erstrebenswerte Qualitäten, auch für Künstler der heutigen Zeit, nicht zuletzt für die Komponisten unter ihnen.1
1
Hans Werner Henze, Anmut setzt ein Gefühl für Maß voraus. Für Felix Mendelssohn Bartholdy, in: Gewandhausmagazin 20, Leipzig Herbst 1998, S. 20–21.

Diese Liebeserklärung Henzes gilt einem Komponisten, der fraglos zur Romantik gehört (Henze spricht übrigens differenzierter von dem »klassizistisch-romantischen« Mendelssohn2

2
Ebenda.
). Was nun ist unter »Romantik« im allgemeinen zu verstehen? Diese Frage wirft Probleme auf, die um so größer zu werden scheinen, je weiter wir von der romantischen Epoche abrücken. Was zu Beginn des 19. Jahrhunderts, also zur ,Spielzeit‘ der Romantik, als »romantisch« bezeichnet wurde, steht zum Teil quer zu heutigen Einteilungen und Kategorisierungen. Wer würde zum Beispiel heute noch Haydn, Mozart und Beethoven zu den Romantikern zählen? E. T. A. Hoffmann – selbst einer der namhaftesten

Erste Seite (1) Vorherige Seite (326)Nächste Seite (328) Letzte Seite (435)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 327 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben