- 328 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Romantiker – war dieser Auffassung. In seiner Rezension von Beethovens Fünfter Sinfonie schrieb er 1810 in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung in Leipzig: Haydn und Mozart, die Schöpfer der neueren Instrumentalmusik, zeigten uns zuerst die Kunst in ihrer vollen Glorie; wer sie da mit voller Liebe anschaute und eindrang in ihr innigstes Wesen, ist – Beethoven. Die Instrumentalkompositionen aller drei Meister atmen einen gleichen romantischen Geist, welcher eben in dem gleichen innigen Ergreifen des eigentümlichen Wesens der Kunst liegt. [...] Haydn faßt das Menschliche im menschlichen Leben romantisch auf; [...] Mozart nimmt das Übermenschliche, das Wunderbare, welches im innern Geiste wohnt, in Anspruch. Beethovens Musik bewegt die Hebel des Schauers, der Furcht, des Entsetzens, des Schmerzes und erweckt jene unendliche Sehnsucht, die das Wesen der Romantik ist.3
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E. T. A. Hoffmann, zit. nach Carl Dahlhaus, Europäische und nationale Romantik in der Musik, in: Geschichte der Musik, hg. von Michael Raeburn u. Alan Kendall, Bd. 2: Beethoven und das Zeitalter der Romantik, München: Kindler u. Mainz: Schott 1993, S. 127–141, hier S.127.

Hoffmann, der als Dichter zur Avantgarde gehörte, als Komponist aber kaum innovativ war, verkörpert in seiner Person die Schwierigkeiten, die uns der Begriff Romantik bereitet. Geschult an Tieck, Novalis und Schelling, war Hoffmann erfüllt von den Ideen der seit 1790 um sich greifenden romantischen Geistesbewegung. In ihr wurde der Musik ein überaus hoher Rang unter den Künsten eingeräumt. Das rationalistische Denken der Aufklärung war der Musik eher mit Skepsis begegnet. Ihre Begriffslosigkeit wertete man im 18. Jahrhundert als Mangel, der letztlich nur durch die Beigabe von Sprache zu beheben sei. Alles mußte hell und klar sein. Das Sichtbare wollte begriffen, die Wirklichkeit mit dem Verstand erfaßt und begrifflich erklärt werden. Der helle Tag ist dem aufklärerischen Denken adäquat. Demgegenüber liebten die Romantiker die Nacht. In ihr versagt das Auge und tritt das Ohr an seine Stelle. Statt begrifflicher Begrenzung ahnende Entgrenzung. »Hymnen an die Nacht« nannte Novalis eine Reihe von sechs Gedichten, die um 1800 erschienen. Weltabgewandtheit, Dunkelheit, Gefühle der Wehmut, vom Hauch bewegtes Saitenspiel – solche Themen und Empfindungen begegnen sogleich in der ersten dieser Hymnen an die Nacht: Abwärts wend ich mich zu der heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht. Fernab liegt die Welt – in eine tiefe Gruft versenkt – wüst und einsam ist ihre Stelle. In den Saiten der Brust weht tiefe Wehmut.4

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Novalis. Schriften. Werke Friedrich von Hardenbergs, Bd. 1: Das dichterische Werk, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1960.

Dieses Saitenspiel im Innern der Brust kennt keine Worte. Musik erhellt die Nacht, ohne daß Dinge sichtbar würden und Wirklichkeit beschreibbar würde. Darum war die textlose Instrumentalmusik, der Klang als solcher so anziehend für die Romantiker. Für E. T. A. Hoffmann boten sich Sinfonien, weil sie reine Instrumentalmusik sind, als Erlebnisraum für romantisches Empfinden an. Bestimmte Schlüsselideen der deutschen Romantik wurden von Hoffmann der klassischen Sinfonik regelrecht angeklebt: das »Wunderbare«, das »Schauerliche«,


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