»kultiviert«. Darum ranken sich vielfältige modische (und auch ökonomische)
Kontexte, die den Begriff »Tango« zur Prestigesuggestion und als Werbemittel
nutzen
34
Vgl. etwa Simon Collier u. a., Tango! Mehr als nur ein Tanz, München 1995; vgl. auch Fred
Ritzel, Synkopen-Tänze. Über Importe populärer Musik aus Amerika in der Zeit vor dem 1.
Weltkrieg, in: (Hg.): Schund und Schönheit. Populäre Kultur um 1900, hg. von Kaspar Maase
u. Wolfgang Kaschuba, Köln usw.: Böhlau 2001.
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In der Weimarer Zeit entwickelt sich dann das Tangotanzen zu einem Massenvergnügen,
viele Tangos der Zeit bevorzugen melancholische Gefühlsregionen, aber es gibt
auch interessante Beispiele für eine sarkastische bis komische Gegenwartssicht
– obwohl die Mehrzahl der deutsche Tangos zum Liebeskitsch zu zählen
ist
35
Vgl. dazu Fred Ritzel, »Schöne Welt, du gingst in Fransen!«: Auf der Suche nach
dem authentischen deutschen Tango, in: (Hg.): Rock/Pop/Jazz im musikwissenschaftlichen
Diskurs. Ausgewählte Beiträge zur Popularmusikforschung, hg. von Bernd Hoffmann,
Winfried Pape u. Helmut Rösing, Hamburg: ASPM 1992, S.43–60. Der Text von Maria
Haydee Malugano de Lorenz, Europäischer Tango versus tango argentino oder: ein
Missverständnis das man tanzt, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, 41 Jg. (1991), H. 2, S.
239, steckt leider voller Vorurteile und sachlicher Fehler.
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Aber es gibt auch bald Stimmen, die Tango etwa als »altmodisch«
bezeichnen
36
Etwa in dem Film ABENTEUER IM ENGADIN (R: Max Obal, M: Paul Dessau, D 1932).
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als zur verkommenen Alltagskultur der »Systemzeit« gehörig. In der Nazizeit scheint die
Melancholie, die Trauer, die Todesnähe sich verstärkt in den kollektiven Gefühlsraum
des Tangos zu bewegen, einige der eindrucksvollsten Tangobeiträge deutscher
Komponisten stammen aus jenen Jahren.
In der Nachkriegszeit verkommt das Genre, Albernheiten und Komik dominieren, Tango
degeneriert zu etwas ziemlich Altmodischem. Der deutsche Film kann da einige
einschlägige Sequenzen liefern, etwa den »Egon«-Tango (in HEIMWEH NACH DIR,
BRD 1952) oder den »Kriminaltango« (in: KRIMINALTANGO, Osterreich
1960). Die humoristische Degeneration des Tangos lässt sich allerdings auch im
internationalen Film feststellen, etwa in den Tangoszenen in ON THE TOWN (USA
1949), SOME LIKE IT HOT (USA 1959) oder an PAJAMA GAME (USA 1957)
u.a.
Seit den 80er Jahren entwickelt sich der Tango, insbesondere ausgelöst durch das
Auftreten des Tango nuevo, zu einem emotionalen Fluchtraum für intellektuelle
bürgerliche Kreise. Konnotiert werden Leidenschaft, Sinnlichkeit, authentische
Körpererfahrungen, schöne Menschen, dramatische Bekleidung und Attitüden.
Merkwürdigerweise lässt sich diese Situation mit der ersten europäischen Tangophase vor
dem ersten Weltkrieg vergleichen. Und als soziales Phänomen scheint der Tango in den
80er und 90er Jahren zu seinen europäischen Anfängen zurückzukehren: er
bewegt nicht die breite Masse, sondern findet Anklang in spezifischen Zirkeln
bei Intellektuellen, Bildungsbürgern, sozusagen im Selbstverwirklichungs- und
Niveaumilieu37
Vgl. Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt
a. M. u. New York 1992; vgl. zur Soziostruktur heutiger europäischer Tangomilieus
Paula-Irene Villa, Sexy Bodies. Eine soziologische Reise durch den Geschlechtskörper,
Opladen 2000, S. 246.
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Die eher in elitären Kulturzirkeln der