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Fred Ritzel

»HERNANDO’S CHÉRIE«

Anmerkungen zu Tangokontexten in Filmbeispielen aus neuerer Zeit

1913 »Tango«

1912 Tangotänzer


Zwei Musik-Postkarten aus Sabine Giesbrechts vielfältiger Sammlung zeigen recht anschaulich Bilder aus der ersten großen europäischen Tangowelle in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg. Wie Hubert Marischka und Mizzi Günther – damals berühmte Bühnenakteure – angestrengt den »Tango« der Vorkriegszeit 1913 für den Photographen »stehen« (ein heutiger Tangolehrer würde die auseinander gerichteten Oberkörper vermutlich etwas korrigieren!), zeigt vielleicht nicht die vitale Leidenschaft des sogenannten »Bordell-Reptils«, aber immerhin den Anflug von lateinamerikanischer Exotik, der für die mondänen Unterhaltungskreise der kaiserlichen Vorkriegszeit neben den erotischen Konnotationen so reizvoll war. Die dramatische Geste, mit der ein professionelles Tanzpaar von 1912 dagegen im Tangoschritt posiert, lässt schon eher an argentinische Vorbilder denken, nach denen vor allem die heutigen Tango-Trendtänzer verlangen.

Jahrzehntelang haben die europäischen Tanzlehrer mit ihrer Version des Tangos die ursprünglich argentinischen Tanzformen verballhornt, eine meist komisch-dramatische Oberkörperhektik erzeugt und mit ruckartigen Kopfschwüngen unterschnitten. Erst in den 80er Jahren, wohl durch den nachhaltigen Eindruck des Tango nuevo motiviert, orientierten sich die Trendtänzer wieder am argentinischen Tangotanzen mit seinem relativ ruhigen Geschehen oberhalb der Gürtellinie, aber den heftigsten Bewegungsfiorituren in den unteren Körperregionen.

In der europäischen Geschichte des Tangos lassen sich Zyklen der Akzeptanz beobachten, die jeweils andere Nutzergruppen, andere Erlebnisformen konnotieren. In der Phase des ersten internationalen Tangorauschs (Höhepunkt um 1913) war Tangotanzen eine Angelegenheit der feinen Gesellschaft, mit erlesener Tanzpraxis, zwar geschult an argentinischen Vorbildern, jedoch europäisch


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