- 391 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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zwischen Grüßaugust und (wissenschaftlichem) Gastarbeiter, zwischen Entertainer und Esoteriker.

Warum ist die Musikpädagogik im öffentlichen Bewusstsein offenbar hauptsächlich als Instrumentalpädagogik präsent? Warum wird auch der Erfolg des schulischen Musikunterrichts ausschließlich an den Aufführungen der Chöre, Orchester, Big- und Rockbands und Musical-AGs gemessen? Warum trifft man so selten Menschen, denen das Nachdenken über Musik – ihre Theorie, ihre Geschichte, ihre Rezeption, Wirkung und Vermittlung – der Mühe oder gar einer Wissenschaft wert erscheint?

Kann es sein, dass die Musikpädagogik es in dreißig Jahren nicht geschafft hat, sich im Wissenschaftsbetrieb zu verorten? (Man sucht uns zwar nicht, aber wenn wir nicht vernehmlich »hier!« schreien, wird man uns auch nie finden.) Warum sind ihre Vertreter nicht in der Lage, Außenstehende für ihren Gegenstand zu interessieren?

Weit davon entfernt, alle diese Fragen beantworten zu können, greife ich einen übergreifenden Aspekt der geschilderten Situation und der daraus entwickelten Fragen heraus und mache ihn zur Grundlage meiner Überlegungen: den Aspekt des fehlenden Wissens, der mangelnden Kenntnisse, des defizitären Nachdenkens über Musik. Im Gegensatz zu der Anfang der 70er Jahre vom Liedermacher-Duo Schobert & Black ausgegebenen Parole »Was ist der Grund von allen Übeln? Das Grübeln!« vertrete ich die These, dass Musikpädagogik und Fachdidaktik derzeit durch ein Defizit an Nachdenken gekennzeichnet sind. Ich werde zunächst auf das Nachdenken über Musik in der aktuellen Musikpädagogik eingehen, alsdann auf das Nachdenken über Musik in der gegenwärtigen Musikdidaktik. Den Schluss bilden einige perspektivische Überlegungen zur Veränderung des defizitären Zustands.

Musikpädagogik ohne Musik

Wissenschaftliche Musikpädagogik definiert sich heute als »Allgemeine Musik-Erziehungswissenschaft«1

1
Jürgen Vogt, Das Allgemeine des Besonderen. Einiges zu Aufgaben und Möglichkeiten einer Allgemeinen Musikpädagogik [Manuskript eines Aufsatzes für den AMPF-Jahresband 2003], S. 6.
. Musikdidaktik wird als musikpädagogische Teildisziplin aufgefasst und nach Kaiser/Nolte als »Theorie des Musikunterrichts« definiert2
2
Hermann Josef Kaiser / Eckhard Nolte, Musikdidaktik, Mainz 1989, S. 22.
. Musikpädagogik ist damit Teil des Wissenschaftssystems, Musikdidaktik Teil des Erziehungssystems3
3
Vgl. Vogt, a. a. O., S. 12.
. Dass diese Definitionen sich keineswegs schon auf breiter Front durchgesetzt haben und dass auch das schon 1980 von Sigrid Abel-Struth diagnostizierte Theorie-Praxis-Problem der Musikpädagogik noch
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