- 90 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Martin Geck
Analysieren vor weitem Denkhorizont
Werkbetrachtung in der Musiklehrerausbildung

»Er hat geschmack, und über das die größte Compositionswissenschaft« – so hat Joseph Haydn über Mozart als den Komponisten der sogenannten »Haydn-Quartette« geurteilt1

1
Mozart, Briefe und Aufzeichnungen, Bd. 3, Kassel usw. 1963, S. 373.
. Er widerlegt damit einen Commonsense heutiger universitärer Musikwissenschaft, derzufolge die ,Alten‘ zwar uneinholbar gut komponieren, dafür aber nicht so gescheit analysieren konnten wie man selbst. Denn was Haydn sagt, ist bei aller Kürze eine treffliche Analyse von Mozarts Quartetten. Diese stellen eine originelle Verbindung galanten und gelehrten Komponierens dar. Und indem Haydn dies feststellt, gibt er nicht nur den Fluchtpunkt vor, von dem aus sich die Partitur gut erschließt; vielmehr deutet er zugleich an, wie diese Musik gesamtgesellschaftlich zu werten sei – nämlich als künstlerischer Beitrag zu einer für die Zeit allgemein bedeutsamen Frage: Wie kann die entwickelte bürgerliche Gesellschaft das Ziel erreichen, ihre Mitglieder im Sinne einer umfassenden Bildung mit galanten und gelehrten Zügen auszustatten?

Im Feudalismus waren das »Galante« und das »Gelehrte« vom Grundsatz her getrennte Sphären gewesen: galant war der Fürst, gelehrt der akademisch gebildete Bürger. Im Zeichen der Aufklärung soll idealiter das gesamte Bürgertum, auf dass ihm die Verantwortung für den gesellschaftlichen Prozess übergeben werden kann, mit beidem ausgestattet werden: dem Galanten und dem Gelehrten. Dafür bedarf es der Sinnbilder und Beispiele in allen Bereichen des Lebens und der Kunst. Mozart liefert sie mit seinen Quartetten für die Musik, und Haydn bemerkt es alsbald2

2
Schon Johann Mattheson möchte »galant« und »gelehrt« in der Musik zusammenführen, weiß jedoch nicht recht, wie dies zu geschehen hätte. Bach und Händel machen es gelegentlich vor; jedoch erst Haydn und Mozart vermögen ein ungeschriebenes Programm daraus zu machen.
.

Dass ich mein Thema mit einem konkreten Beispiel begonnen habe, hat seinen Grund: Ich veranstalte derzeit an meiner lehrerausbildenden Universität ein Seminar über Mozarts Streichquartette; und in diesem Seminar soll analysiert werden, jedoch unter der Voraussetzung, »daß wir uns in der Kunst über uns und unsere Welt verständigen«3

3
Gustav Falke, Bild und Ausdruck. Wie und wozu kann man Musik und Malerei vergleichen?, in: Musik & Ästhetik, 5. Jg. (2001), H. 20, S. 13.
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