- 96 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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oder musikalisch-außermusikalisch geht, sondern um einen Diskurs über Musik, in dem alles Platz hat, was uns im Verständnis von Musik weiterbringt.

»Eine Musikbetrachtung, welche diesen Namen verdient. . . « Vertieft man sich in die 2. Auflage der Enzyklopädie Die Musik in Geschichte und Gegenwart, so findet man viele Informationen, Gedanken und Hinweise, die einer solchen Musikwissenschaft würdig sind. Es gibt auch neue Bücher, die vor weitem Denkhorizont analysieren – etwa dasjenige von Anselm Gerhard über London und der Klassizismus in der Musik. Die Idee der »absoluten Musik« und Muzio Clementis Klavierwerke15

15
Kassel u. Stuttgart 2002.
. Es fehlt also nicht an theoretischem Wissen oder an Problembewusstsein. Die Frage ist nur, was davon in der Praxis durchschlägt. Wird dort durch die Bank vor weitem Denkhorizont analysiert?

Und was heißt das? Ich habe in meinem Beitrag ein wenig provoziert, indem ich die halbe Philosophiegeschichte habe aufmarschieren lassen; das mag eher einschüchternd wirken. Indessen zitiere ich auch Carl Philipp Emanuel Bach, Haydn und Schönberg, die sich nicht als Philosophen, freilich ihrerseits philosophisch äußern. Philosophisch insofern, als sie ihre Sache, die »Compositionswissenschaft«, nicht absolut setzen, sondern in einen größeren Kontext stellen, also einen Fluchtpunkt außerhalb ihres kompositorischen Metiers suchen.

Jede Musikwissenschaft, jede Musikanalyse, die sich nicht allein an angehende Komponisten wendet, braucht zu ihrer Legitimation diesen Fluchtpunkt. Denn wenn es zutrifft, dass wir uns in der Kunst über uns und unsere Welt verständigen, müssen wir den Diskurs zwischen unserem Kunst- und unserem Weltverständnis anbahnen; und das gelingt nur von einer höheren Warte aus. Theologie, Philosophie, Anthropologie, Soziologie, Psychologie, Geschichte, Politik – sie alle versuchen von höherer Warte aus Dinge auf den Begriff zu bringen. Musikwissenschaft muss sich ihnen nicht an den Hals werfen, sollte aber auf sie hören. Überhaupt geht es um ein zweifaches Hören: Der Analysierende hört nach innen, um wahrzunehmen, wie Musik spricht, und nach außen, um über Musik sprechen zu lernen.

Dabei muss es nicht immer um letzte Dinge gehen. Die eingangs mitgeteilte Äußerung von Haydn eröffnet allein durch die Gegenüberstellung von »Geschmack« und »Compositionswissenschaft« einen weiten Denkhorizont. Müssen wir dahinter zurückbleiben?16

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Vgl. zu diesem Thema auch meinen Beitrag: Von der Analyse zur Aneignung. Eine etwas andere Kunstwerkdidaktik, in: Diskussion Musikpädagogik 12/2001, S. 45–52.


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