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Gestaltqualitäten« (vgl. de la Motte 1985, S. 421). Zentrales Beispiel war die Melodie,
deren Wahrnehmung über die Registrierung der elementaren Einzelereignisse – der
Melodietöne – hinausgeht. Wichtigste Gestaltqualitäten sind Übersummativität und
Transponierbarkeit. Außerdem gehorcht die Wahrnehmung den Prinzipien der
»Einfachheit, Geschlossenheit, Prägnanz und grundsätzlich der Tendenz zur guten
Gestalt.« (ebd., S. 422).
Was für die Melodie gilt, kann auch auf die Bereiche von Zeit und Rhythmus übertragen werden. Auch ein Rhythmus, eine Zeitgestalt, bleibt erkennbar, wenn beispielsweise das Tempo variiert oder die Klangfarbe wechselt. Über ästhetische Aspekte hinausgehend ist auf die Notwendigkeit der Mustererkennung für Sprachverarbeitungsprozesse hinzuweisen. Ilse Kracke (1975) geht in ihrer Untersuchung zur Wahrnehmung rhythmischer Sequenzen davon aus, dass Kinder, die unter rezeptiver Aphasie leiden, eben nicht in der Lage sind, Rhythmen als Gestalten aufzunehmen. Schon bei einfachen Unterscheidungen ›gleich/verschieden‹ muss die Strategie dieser Kinder scheitern, eine Entschlüsselung Element für Element vorzunehmen (vgl. Abschnitt 5.4.4). Das, was bisher als Ganzheit bzw. Geschlossenheit bezeichnet wurde, nennt die Gestaltpsychologie auch Figur und geht davon aus, dass diese sich ihrer Gestalt wegen von einem Hintergrund abhebt. In diesem Zusammenhang weist Lenneberg (1972, S. 137f.) darauf hin, dass Melodien auch noch erkannt werden können, wenn allein ihre rhythmische Struktur geklopft wird. Strukturiertes Klopfen kann sowohl reproduziert als auch im Gedächtnis behalten werden, dies gilt nicht für zufällige Klangmuster. Das wesentliche Element einer Zeitstruktur ist ein zugrunde liegender regelmäßiger Impuls oder Schlag. Im extremen Fall von Ordnung in der Zeit ist die einfachste Struktur ein gleichmäßiger Impuls wie das Tick-tack eines Metronoms. Wir können diese einfache Struktur komplizieren durch zeitliche Modulationen wie regelmäßiges Auslassen eines Schlages oder zusätzliches Einfügen leichter Schläge zwischen die ursprünglichen, wobei die zusätzlichen Schläge die Zeiteinheit in bestimmte kleinere Einheiten unterteilen müssen. Der zugrunde liegende regelmäßige Impuls ist der Träger, an dem die rhythmische Struktur ›festgemacht‹ werden kann. Er ist für die Struktur ein unbedingt notwendiger Bestandteil, so wie man nur vor einem Hintergrund eine Gestalt klar erkennen kann. (ebd.). Festzuhalten bleibt, dass die Idee der Gestalt auf zeitliche bzw. rhythmische Prozesse hervorragend anzuwenden ist. Wichtig erscheinen dabei zwei Aspekte: zum einen berührt das Operieren mit Gestalten eine ästhetische Ebene. Gestalten sind nicht willkürlich zusammengesetzt, sondern gehorchen bestimmten Gesetzen (s. o.). Dieses bedingt einen qualitativen Unterschied in der Wahrnehmung, anders gesagt wird aus dem Wahrnehmen (im Sinne von sachlicher Reiz-Verarbeitung) ein subjektiv-emotional getöntes Erleben. Zum anderen ist das Prinzip der Gestaltbildung wichtig für die Informationsverarbeitung. Eine Gestalt kann reproduziert, im Gedächtnis aktiviert und weiterverarbeitet werden, eine willkürliche Formation bzw. eine Anzahl beziehungsloser Elemente kann das nicht.
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