- 89 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Konsequenzen für musikpädagogische Prozesse

Für den pädagogischen Umgang mit musikalischen Rhythmen muss festgehalten werden, dass die Funktion des Arbeitsgedächtnisses biologisch determiniert zu sein scheint und im Kindesalter Reifungsprozessen unterliegt. Dies bedeutet, dass verschiedene Menschen über eine unterschiedlich leistungsfähige ›Ausstattung‹ im Umgang mit akustischen oder visuellen Eindrücken verfügen. Bei Kindern ist davon auszugehen, dass sich die Behaltensleistung im Umgang mit Informationsmaterial, das auf den phonetischen Speicher trifft, von allein noch verbessert.

Die im Umgang mit sprachlichen Stimuli beobachteten Phänomene der Arbeitsgedächtnisfunktion (s. o.) mögen auch für die Verarbeitung von Rhythmen bedeutsam sein. Zwar spielt sich Musikunterricht nicht so ab, dass – wie in einer Laborsitutation – ein Rhythmus nach dem anderen angeboten und abgefragt wird, dennoch geht es auch im musikalischen Lernen und Speichern und Reproduzieren. So ist vor allem die Länge des phonetischen Speichers mit maximal zwei Sekunden zu bedenken. Einheiten dieser Länge können als kleine Bausteine beispielsweise gut für Imitationsspiele verwendet werden (vgl. Abschnitt 9.2). Der Tatsache, dass das Anbieten ähnlich klingender Bausteine die Merkleistung verringern kann, ist zu begegnen, indem kontrastreiche Bausteine angeboten werden.

5.4.4.  Rhythmische Verarbeitung als Frage der angewandten Strategie

Das rhythmische Wahrnehmungsvermögen unter Bedingungen von einerseits Aphasie und andererseits Gehörlosigkeit untersuchte Ilse Kracke (1975). Sie verbindet in ihrer Untersuchung somit musikalisch-rhythmische mit sprachwissenschaftlichen Belangen. Besonders interessant ist ihr Forschungsansatz, weil sie ihren Versuchspersonen die rhythmischen Modelle nicht nur auditiv sondern auch kutan, d. h. als Vibration an den Fingerspitzen anbot. Die dargebotenen Muster sollten als gleich oder verschieden beurteilt werden. Dabei zeigte sich, dass die gehörlosen Kinder (denen Hörreste zur Verfügung standen, die es ihnen ermöglichten, auch die auditiven Stimuli beurteilen zu können) sowie die Vergleichsgruppe nicht-behinderter Kinder keine Schwierigkeiten hatten, die rhythmischen Muster in beiden Modalitäten richtig zu erfassen. Bei den aphasischen Kindern dagegen erforderte alleine die Wahrnehmung der Stimuli so viel Aufmerksamkeit, dass der größere Teil von ihnen in den Vergleichen scheiterte. Kracke macht die Strategie der Wahrnehmung für das Gelingen der Beurteilung in gleich/verschieden verantwortlich: erfolgreiches Handeln ist gewährleistet durch das Auffassen der Muster als Ganzes, als Bündelung zu einer ›Gestalt‹ bzw. einem ›chunk‹. Eine Entschlüsselung Element für Element dagegen – wie die aphasischen Kinder sie anwandten – ist nicht annähernd erfolgreich (vgl. auch Müller 1998, S. 32f.). Die Tatsache, dass die aphasischen Kinder auch auf kutaner Ebene beeinträchtigt waren deutet Kracke dahingehend, dass die Verarbeitung von rhythmischen Informationen auf einer höheren Ebene als der sensorischen angesiedelt sein muss, also die kognitive Verarbeitung betrifft.

Auch Caroline Zimmer (1999) nimmt Bezug auf die Gestaltwahrnehmung von Rhythmen als verbindendes Element von Sprache und Musik. Sie beschreibt diese in ihrer Nutzbarmachung für einen sprachtherapeutischen Ansatz (ebd., S. 115ff.)


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