- 116 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Versuchspersonen Bildergeschichten zum Ordnen vor, zeigte ihnen Figuren, die gleichzeitig in Bewegung waren, dabei aber Strecke, Tempo oder Richtung variierten; er versuchte, Kinder Beziehungen zwischen verschieden hoch gefüllten Gefäßen und zeitlichen Markierungen herstellen zu lassen oder ließ Striche in verschiedener Geschwindigkeit zeichnen. Dabei beließen er und seine Mitarbeitenden es nicht dabei, den Umgang der kleinen Versuchspersonen mit den Problemstellungen der Experimente zu protokollieren. Zusätzlich trat Piaget mit den Kindern in einen Dialog, um deren Handlungen oder verbalisierte Gedankengänge behutsam zu hinterfragen. Ziel der Untersuchungen war es, die kindlichen Denkprozesse zu analysieren und zu kategorisieren. Nicht nur in Bezug auf die Zeit entwickelte Piaget ein Modell grundsätzlicher Stadien, die Kinder im Laufe ihrer Entwicklung durchlaufen. So orientiert sich das Denken von Kindern im Vorschulalter an konkreten, überschaubaren Sachverhalten. Denkprozesse werden durch Handlungen ausgelöst bzw. unterstützt. Gedankliche Vorgänge, die losgelöst von wirklichem Geschehen nach innen verlagert ablaufen, bahnen sich erst an. Piaget spricht von präoperationalem bzw. anschaulichem Denken. Um die Einschulung herum entwickelt sich allmählich eine gewisse Abstraktionsfähigkeit, die Phase des konkret-operationalen Denkens beginnt. Erst mit ungefähr zwölf bis vierzehn Jahren wird die Stufe des formal-operationalen, logischen Denkens erreicht.

Anschaulichkeit

Ein Beispiel zum Thema ›Lebensalter in Zusammenhang mit dem Zeitpunkt der Geburt‹ ist folgende Szene: ein Junge im Alter von vier Jahren und neun Monaten, der auf die Frage, ob sein Bruder oder er selbst älter sei, antwortet: »Mein Bruder, weil er größer geboren wurde.« und auf die Frage, ob dieser Unterschied sich ändern könne: »Nein […] Doch, wenn ich viel Suppe esse, überhole ich ihn.« (vgl. Piaget 1955, S. 284). Alter wird hier noch mit dem hervorstechenden Merkmal von Größe gleichgesetzt. Ältere Kinder dagegen wissen schon, ob sie jünger oder älter als eine andere Person sind. Gleichzeitig können sie aber aus dieser Tatsache nicht unbedingt die Reihenfolge der Geburten ableiten: Ein Kind mit Namen Dour kann mit siebeneinhalb Jahren angeben, dass sein Freund Gerald fünf Jahre älter ist als er selber. Auf die Frage, ob dieser vor oder nach ihm geboren sei, weiß er aber nicht zu antworten. »Überleg einmal, du hast mir doch schon gesagt, wie alt er ist. Ist er vor dir oder nach dir geboren?« »Ich könnte ihn ja fragen gehen.« (ebd., S. 291). Hier wird die Größe einer Person oder eines Gegenstandes von Kindern als wesentliches – und ausschließlich bestimmendes – Merkmal von Alter beachtet. Piaget spricht von anschaulicher Zentrierung.

Genau wie die Größe findet auch das Tempo einer Aktivität besondere Beachtung. Eines der Kinder (6 Jahre und 4 Monate alt) wurde befragt: »Wie lange brauchst du von der Schule nach Hause?« – »Zehn Minuten.« – »Und wenn du läufst, geht das schneller oder langsamer?« – »Schneller.« – »Also brauchst du dann mehr Zeit oder weniger Zeit?« – »Mehr Zeit.« – »Wie viel?« – »Mehr als zehn Minuten.« (ebd., S. 62). Hier wird ›viel‹ Tempo gleichgesetzt mit viel Zeit.

Im gerade zitierten Beispiel wird deutlich, dass Kinder je jünger sie sind, umso weniger in der Lage sind, Zusammenhänge herzustellen oder Schlüsse zu ziehen. Augenfälliges Merkmal ist die Geschwindigkeit: ist diese hoch wird daraus im


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