- 121 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (120)Nächste Seite (122) Letzte Seite (264)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Minkenberg 1991, S. 101 u. 109). In Bezug auf das Gedächtnis ist schon im Abschnitt 6.3 darauf hingewiesen worden, dass Kinder noch nicht über das gleiche Erinnerungsvermögen verfügen wie Erwachsene. Fließen Gedächtnis-Komponenten in Erhebungen zu rhythmischen Fertigkeiten mit ein, muss damit gerechnet werden, dass die Leistung von Kindern hinter denen von Erwachsenen zurück bleibt. Ähnlich sieht es mit Leistungen auf dem Gebiet differenzierter Bewegungssteuerung aus. Kinder verfügen noch nicht über die motorische Reife von Erwachsenen. Werden Aufgaben wie Imitation durch Klopfen oder Anpassung von Schrittbewegung zu vorgegebenen Rhythmen verlangt, überprüfen diese fast mehr den Stand der Bewegungsentwicklung als die rhythmischen Fähigkeiten. Da rhythmisches, zeit-genaues Agieren aber Bestandteil nicht nur von Testsituationen sein kann, sondern bestimmend für metrisch gebundenes Musizieren ist, soll an dieser Stelle auf die Bewegungsentwicklung ausführlicher eingegangen werden.

Exkurs in die motorische Entwicklung

Die Produktion (oder auch Reproduktion) von Rhythmen ist nicht möglich ohne die Aktivierung motorischer Funktionen. Nicht selten sind Testaufgaben so gestellt, dass diese ein hohes Maß an Bewegungsgeschicklichkeit erfordern und somit den eigentlichen Blick auf rhythmische Fertigkeiten verzerren. Eine in dieser Hinsicht ausgesprochen erfreuliche Versuchsdurchführung beschreibt Rainbow (1980). Er untersuchte die rhythmischen Fähigkeiten von Drei- bis Sechsjährigen. Neben dem ansonsten in dieser Art von Untersuchungen üblichen Klatschen ließ er seine kleinen Versuchspersonen auch rhythmisch patschen und sprechen. Dabei zeigte sich, dass Rhythmen am erfolgreichsten über das Sprechen reproduziert werden konnten. Bewegungen der Extremitäten fielen deutlich schwerer. Dieser Befund spiegelt entwicklungspsychologische Tatsachen. Schon im vierten Kapitel (vgl. Abschnitt 4.4.1) wurde dargelegt, dass die motorische Entwicklung in zwei Richtungen verläuft: vom Kopf zu den Füßen und von den großen, zentralen Muskeln zu den feineren, peripher gelegenen. Die Sprechmotorik ist wegen ihrer zentralen Lage in der Kopfregion früh entwickelt und äußerst differenzierungsfähig. Hier steht ein früh ausgereiftes und krisensicheres motorisches System zur Verfügung, das in musikpädagogischen Prozessen ausgesprochen gut genutzt werden kann.

Auch für die Bewegung der Extremitäten hat die Entwicklungsrichtung vom Kopf zu den Füßen Bedeutung: differenziert gesteuerte Bewegungen der Arme gelingen früher als die der Beine. Im Gegensatz zu anderen Untersuchungen, die Kinder zu Musik gehen ließen, greift das in Rainbows Untersuchung ausgeübte Patschen und Klatschen auf früh etablierte motorische Fertigkeiten zurück. Dabei ist das Patschen noch früher einzuordnen als das Klatschen: wie schon in Abschnitt 4.4.1 dargestellt, ist die Außenrotation (Supination) in der Bewegungsentwicklung später anzusiedeln als die Innenrotation (Pronation). Zum höheren Grad der Innenrotation bei der Patschbewegung kommt noch dazu, dass Bewegungen, die zum Körper hin führen, also die Selbst-Berührung betreffen, sehr früh in der Entwicklung anzusiedeln sind (vgl. Abschnitt 5.2.2). Auch im Klatschen finden sich die eigenen Hände, das Patschen sorgt jedoch für einen ›großflächigeren‹ Selbst-Kontakt.

Die Gesetzmäßigkeiten der Bewegungsentwicklung legen nahe, genau zu überdenken, in welcher Aktionsform ein Rhythmus wiedergegeben wird: Sprechen und


Erste Seite (i) Vorherige Seite (120)Nächste Seite (122) Letzte Seite (264)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 121 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus