Während des Hörvorgangs wurde mit Hilfe von EEG-Messungen danach gesucht,
welche Hirnregionen aktiviert wurden. Es stellte sich heraus, dass das Hören der
Rhythmen Alpha- und Beta-Frequenzen in ausgedehnteren Bereichen veränderte als das
reine Musik-Hören. Noch deutlicher zeigte sich die Reaktion auf die zwei verschiedenen
Stimuli in Hinblick auf die Ähnlichkeit der gemessenen Frequenzen, der so genannten
Kohärenz. Kohärenz ist ein Hinweis darauf, dass Hirnregionen funktionell zusammen
arbeiten, also gemeinsam an einem Verarbeitungsprozess beteiligt sind. Vollständige
Kohärenz würde bedeuten, dass zwei Regionen in der betroffenen Frequenz synchron
oszillieren. Petsche und seine Mitarbeiter konnten zeigen, dass die Kohärenz durch das
Hören der Rhythmen besonders im Theta-Band vergrößert wurde. Bemerkenswert war
auch, dass im Vergleich mit dem Hören des musikalischen Stimulus das Hören der
Rhythmen einen hochsignifikanten interhemisphärischen Anstieg der funktionalen
Verbindung der in den temporalen, frontalen, zentralen und parietalen Bereichen
verursachte (vgl. Petsche 1991, S. 323f.). Die Autoren ziehen den Schluss, dass
in der Verarbeitung von Rhythmen beide Hirnhälften eng zusammenarbeiten
müssen.
Sicher ließen sich noch unzählig mehr Studien finden, die auf weitere Verortungen verschiedener rhythmischer Funktionen hinweisen. Doch schon die hier genannten Ergebnisse spiegeln Zeitverarbeitungsprozesse in der Musik recht gut: Zum einen zeigen sie, dass Sprache und Musik tatsächlich in überschneidenden Hirnbereichen verarbeitet werden. Die Bedeutung von Sprache in musikpädagogischen bzw. künstlerischen Prozessen war weiter oben dargestellt worden (vgl. Abschnitt 7.3.1). Zweitens wird noch einmal ganz deutlich, dass beide Hemisphären in Verbindung mit Rhythmus- oder Metrumverarbeitung genannt werden. Eckart Altenmüller und Wilfried Gruhn (2002) gehen zwar davon aus, dass musikalische Zeitstrukturen weitgehend in der linken Hirnhälfte entschlüsselt werden, geben aber gleichzeitig zu, dass die Wahrnehmungsweise musikalischer Angebote nicht nur hochgradig individuell, sondern auch situationsabhängig ist. Die Hörstrategie kann jederzeit gewechselt werden: Since music listeners may switch from one mode to another, it is evident that neuronal networks involved in music processing are adaptive, rapidly changing, and not fixed in definite music centers. (ebd., S. 69). Auch Petsche weist darauf hin, dass Denkfunktionen nicht von »Kommandozentralen« (Petsche 1997, S. 82) gesteuert werden, sondern auf dem Zusammenwirken zahlreicher Hirnregionen beruhen. Wenn für Sprache oder Musik Zentren benannt werden, bedeutet dies nur, dass an diesen Stellen besonders zahlreiche funktionell wichtige Bahnen auf engem Raum verlaufen bzw. besonders stark miteinander vernetzt sind. Ansonsten sind weite Hirnregionen an der Verarbeitung von Musik beteiligt. Dies zeigt sich auch darin, dass Störungen der Musikwahrnehmung häufige Begleiterscheinung von Hirnverletzungen sind: Eine Untersuchung von 20 Schlaganfallpatienten zeigt, dass 69 % der Erkrankten auch eine Amusie aufwies (vgl. Schuppert u. a. 2000, S. 553). Dieser Ausfall musikbezogener Verarbeitungsprozesse wäre allerdings ohne die genaue Untersuchung wohl nicht so offensichtlich geworden, da die Betroffenen nicht musikalisch aktiv waren.
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