- 153 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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dass der einzelne Hörer die auditorische Musterbildung individuell »gestaltete« und die Länge der Wahrnehmungseinheiten »nach Belieben« auswählte – also Rhythmusaufgaben »global« wahrnahm und Metrumaufgaben z. B. durch inneres »Mitzählen« letztendlich »lokal« bearbeitete. (Altenmüller u. a., S. 76).

Auch Peretz (1990) nennt Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Zeitverarbeitung nicht klar lateralisiert sei und eventuell auch von mehr als einem Mechanismus ausgeführt werden könnte. Tatsächlich sind rhythmisch-metrische Phänomene vielschichtig und mehrdimensional: der Begriff Metrum meint ja nicht nur die Folge gleichabständiger Bezugspunkte, sondern steht auch für deren Betonung entsprechend des Taktschemas. Innerhalb dieses Rasters findet schließlich der Rhythmus mit seinen unterschiedlichen, aber immer in Beziehung zu den isochronen Grundschlägen (und deren Betonungen) stehenden Tonlängen seinen Platz. Denkbar ist, dass das Erkennen eines Metrums (hier im Sinne von Taktart wie Walzer oder Marsch) gestützt wird auf Faktoren wie Artikulation, Phrasierung, Dynamik oder melodische Muster. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass in den Hannoveraner Tests an Schlaganfall-Patienten (vgl. Schuppert u. a. 2000; Altenmüller u. a. 2000) die Versuche zur Metrum-Wahrnehmung melodisch gestützt werden mussten, da die Kontrollpersonen Metren ohne Tonhöhenverlauf nur auf Zufallsniveau unterscheiden konnten. Es stellt sich die Frage, ob Rhythmus oder Metrum überhaupt getrennt voneinander entschlüsselbar sind, ob das eine ohne das andere denkbar ist. Im Vergleich mit der Dimension Tonhöhe ist zu bedenken, dass die Kontur einer Melodie sich erst im zeitlichen Verlauf herauskristallisiert, während ein Intervall auch statisch sein kann, indem zwei (oder mehr) Töne gleichzeitig ausgehalten werden. Dies könnte real geschehen, aber auch allein in der inneren Vorstellung. Diese Statik ist aber weder für Rhythmen noch für das Phänomen von Isochronie, noch für die Abläufe im Taktschema denkbar. Rhythmus und Metrum erschließen sich nicht in der Betrachtung zweier Ereignisse (wie bei den Intervallen), ihre Entschlüsselung bedarf längerer Ereignisketten.

Rhythmus und Metrum lassen sich nicht in das Schema lokal/globaler Verarbeitung integrieren.

Exkurs: Sind Rhythmus und Metrum dissozierbar?

Kapitel 3 hatte sich mit der Begriffsverwirrung und der unterschiedlichen Ausprägung rhythmisch-metrischer Phänomene in den Epochen der Musikgeschichte auseinandergesetzt und war letztlich zu dem Ergebnis gekommen, dass die Begriffe Rhythmus, Metrum oder auch Takt nur in einem jeweils engen Kontext gültig sein können, niemals allgemein-verbindlich. In den Studien, die nach einem neurophysiologischen Korrelat zur Unterscheidung von Rhythmus- und Metrumverarbeitung suchen, meint Metrum in der Regel die Gewichtung durch Schwerpunkte (vgl. Altenmüller u. a. 2000, S. 60; Peretz 1990, S. 1188). Mit vorhanden ist bei deren Perzeption aber immer auch die Wahrnehmung der zugrunde liegenden isochronen Einheiten:


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