- 43 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (42)Nächste Seite (44) Letzte Seite (264)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Körperlich vorgegebene Akzentstrukturen: Zweier, Dreier und Vierer

Im Blick auf die Zahlenverhältnisse von Körperrhythmen sticht zunächst die Zwei hervor: sie findet sich im Wechsel von Ein- und Ausatmung, Systole und Diastole, rechtem und linkem Fuß beim Gehen oder dem Auf und Ab der dirigierenden Hand. In der Musik erscheint dieses Prinzip im Wechsel von Betont und Unbetont, der ›Zweier‹ ist das schlichteste Modell einer Sinneinheit bzw. eines Taktes.

Die Vier ist im Zusammenhang mit den Herzschlägen, die phasisch zu einem Atemzug stattfinden, genannt worden. Dieses Geschehen findet seine Entsprechung in der Musik als Gliederung und Akzentsetzung, beispielsweise in der Gewichtung der Zählzeiten im Takt.

Auch die Zahl Drei lässt sich nachweisen. Je nach Sichtweise (vgl. Abschnitt 4.1.3) wird dabei die Dualität von Inspiration und Exspiration ergänzt durch die Pause nach dem Ausatmen bzw. die Phase der Postinspiration, in der die eingeatmete Luft gehalten und die Ausatmung abgebremst wird. Auch das Verhältnis von Systolen- und Diastolendauer im Ruhepuls ist mit eins zu zwei asymmetrisch. Dass die Dreiheit dabei nicht ganz so offensichtlich vom Körper repräsentiert wird wie die Zweiheit, spiegelt sich in der Musik darin, dass die elementarsten Äußerungen wie tradierte Kinderlieder im Zweiertakt gehalten sind. Auch ist es eine musikpädagogische Alltagserfahrung, dass die Arbeit am Dreiertakt gerade für Ungeübte mit mehr Schwierigkeiten verbunden ist. Ebenso beschränken sich große Teile der (schlichteren) Unterhaltungsmusik, egal welcher Stilrichtung, auf gerade Taktarten.

Zwei weitere Phänomene der musikalischen Gestaltung sind körperlich repräsentiert. Zum einen kennen Körperrhythmen die Pause. Jacobs formuliert über das Innehalten nach dem Ausatmen:

Die Pause ist kein einfaches Aussetzen der Atembewegung; ähnlich wie die Pause in der Musik ist sie ein inneres Ausklingen. Es ist ein großer Unterschied zwischen der Pause, die man zwischen zwei willkürlichen Atemzügen einlegt, und der belebten schwingenden, die sich bei naturhafter Atmung von selbst einstellt. Sie wird als der verhaltene, innerliche Teil des Atemvorgangs erlebt, in dem sich der Neubeginn vorbereitet. (Jacobs 1990, S. 195).

Auch das Prinzip von Schwerpunktsetzung, von Taktbildung sieht Jacobs im Atem verwirklicht: »Durch die Pause bekommt die Atmung auftaktiges Gepräge; die Einatmung wird als Auftakt, die Ausatmung als schwerer Taktteil empfunden.« (ebd.).

Zum anderen weist auch der menschliche Körper in seinen Funktionen Arrhythmien auf, die keineswegs pathologischer Natur sein müssen. Am deutlichsten wird dieses wiederum im Bereich der Atmung. Jeder normale Atemrhythmus wird von Zeit zu Zeit durch vertiefte Atemzüge aufgelockert. Besonders ist hier das Gähnen zu nennen, dem eine erfrischende und spannungslösende Funktion zukommt. Die damit einhergehende Verlängerung von Ein- und Ausatem findet eine musikalische Entsprechung in der Dehnung durch die Fermate. Die große Flexibilität von Körperrhythmen wird gespiegelt in den Vorgängen von Rubato, Accelerando oder Ritardando.

Musikalische Zeitstrukturen finden Entsprechungen in Körperrhythmen.


Erste Seite (i) Vorherige Seite (42)Nächste Seite (44) Letzte Seite (264)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 43 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus