- 42 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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kommt. In diesem Zusammenhang soll noch das Phänomen der respiratorischen Arrhythmie erwähnt sein, weil es auch eher Heranwachsende betrifft. Dieser Begriff umschreibt den Sachverhalt, dass – zumindest bei Jugendlichen – während der Einatmung die Herzfrequenz ansteigt und während der Ausatmung wieder sinkt (vgl. Ganong 1971, S. 504).

Weiter oben war schon erwähnt worden, dass die rhythmische Organisation des Menschen sich mit dem Ziel der Optimierung auch auf die Kombination verschiedener Rhythmen erstreckt.

Verstärkend auf das Bestreben nach Koordination können folgende Faktoren wirken:
—  erhöhte Aktivität,
—  Training,
—  Ruhe, Passivität (wie etwa im Schlaf),
—  Reifung (Kinder und Jugendliche entwickeln ihre Funktionsabläufe erst hin zum rhythmischen Norm-Wert von einem Atemzug zu    vier Herzschlägen).

4.3.  Menschlicher Körper und musikalischer Rhythmus

Schon seit der Antike werden Parallelen gezogen zwischen Körperrhythmen und musikalischen Rhythmen, beispielsweise vergleicht der griechische Arzt Herophilos Arsis und Thesis mit Systole und Diastole (vgl. Kümmel 1968, S. 269). Auch die Gelehrten des Mittelalters leben in der Vorstellung, dass Struktur und Funktion des menschlichen Körpers und der Seele unter jene göttliche Ordnung fallen, die sowohl die zahlenmäßigen Gesetze für den Puls und die Gestirne als auch die Töne der Musik regeln (ebd., S. 270). Um 1450 empfiehlt Michele Savonarola, Professor der Medizin in Padua und Ferrara, sich von Musikern in das Dirigieren einweisen zu lassen, um mit Hilfe der Proportionen des mensuralen Systems die Unterschiede im Puls von Gesunden und Kranken beschreiben zu können (vgl. Dohrn-van Rossum 1992, S. 263). Kümmel sieht den ›tactus‹, die Auf- und Abbewegung der Dirigentenhand, in Analogie zum Herzschlag. In der Tempobezeichnung ›Andante‹ findet sich auch der Bezug auf den Schrittrhythmus wieder, schon die Begriffe ›Arsis‹ und ›Thesis‹ meinten ja ursprünglich das konkrete Heben und Senken der Füße. Auch Hugo Riemann (1903) spricht von einem körperlichen Bewegungsgefühl, das sich beim Hören von Musik einstellt und nimmt ein Grundmaß an, das sich im Bereich des Herzschlags bewegt und auf das alle schnelleren oder langsameren Bewegungen bezogen werden (ebd., S. 4ff.).

Die Tempobereiche von Puls, Atem, Schritt und ›tactus‹ sind in den Tempi von Musik unmittelbar wieder-erlebbar (vgl. Ebert 1995, S. 61). Dieses Wissen – ausgesprochen oder auch nicht – ist so alt wie die Beziehung von Mensch und Musik selber. Die enge Verwandtschaft von körperlichen und musikalischen Rhythmen ist auch nicht weiter verwunderlich, ist doch der menschliche Körper nicht nur das ausführende Organ von Gesang, Tanz oder Instrumentalspiel sondern gleichzeitig auch ›Träger‹ der Sinnesempfindungen.

Zwischen Mensch und Musik besteht ein enges Beziehungsgeflecht vielschichtiger Rhythmen.


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