- 56 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Harrer (1982, S. 43) beschreibt, wie Griegs »In der Halle des Bergkönigs« einen Anstieg von Atem- und Pulsfrequenz bewirkt. Dabei kann es zwischen ›attraktivem‹ und ›attrahiertem‹ Rhythmus zu einer völligen Synchronisierung aber auch zu Verhältnissen ganzzahliger Brüche kommen (z. B. 3 : 4). Die Einflussnahme musikalischer Rhythmen auf Körperrhythmen darf allerdings nicht pauschal als gegeben erwartet werden, sie findet in engen Grenzen und unter bestimmten Bedingungen statt (vgl. Frank 1982).

Fetz (1977) berichtet, dass sich im rhythmischen Nebeneinander von Individuen – sei es bei Arbeitsbewegungen oder im Sport – meist nach kurzer Zeit ein gemeinsamer Rhythmus des Bewegens herausbildet, »auf den alle Gruppenmitglieder Einfluß nehmen können« (ebd., S. 151). Für diese durch optische, akustische oder taktile Reize angeregte Rhythmusanpassung verwendet er den Ausdruck Gruppenrhythmus:

Gruppenrhythmus nennen wir die zeitlich-dynamische Anpassung und Übereinstimmung der Bewegungsabläufe der Gruppenmitglieder beim gemeinsamen Bewegen einer Gruppe, so daß der Eindruck einheitlicher Bewegungsdynamik entsteht. (Ebd., S. 150).

Fetz benennt ausdrücklich die ästhetische Qualität, die durch den Gruppenrhythmus bestimmt wird. Sportarten wie Paarlaufen oder Synchronschwimmen illustrieren diese Tatsache, für den Bereich des Tanzes liegt auf der Hand, dass ein großer Teil der Wirkung auf der zeitlichen Synchronisierung vieler Individuen beruht. Doch auch für das Musizieren im Ensemble, Chor oder Orchester gilt, dass die gemeinsame Darbietung von Rhythmen dessen Wirkung verstärkt.

Neben der ästhetischen Qualität benennt Fetz als weiteren Aspekt die »Hebung der individuellen Ökonomie« (ebd., S. 153). Als Beispiel führt der Autor das Gehen oder Laufen in der Gruppe an, das einen angenehmen Effekt des Motivierens und Mitziehens hat. Einzelne gelangen also durch die Aktivität in der Gruppe zu einer persönlichen Leistungssteigerung. Auch dieses Phänomen ist dem Musizieren in Gruppen eigen: Chor- oder Orchester-Erfahrungen bestätigen diesen Effekt. Unsichere können sich an Sicheren orientieren, die ohnehin Sicheren bemühen sich der Gruppensituation wegen um größtmögliche Deutlichkeit in der Ausführung. Dass diese Orientierungsreaktionen sich nicht auf das Akustische beschränken, sondern auch visuelle Eindrücke einbeziehen, belegen Davidson und Correia (2002). Sie untersuchten die Spielbewegungen von Musizierenden und fanden eine regulierende Funktion dieser rhythmischen Bewegungsaktivitäten: In kleinen Ensembles neigen die Mitwirkenden dazu, das Zusammenspiel mit Hilfe ihrer Spielbewegungen zu koordinieren.

Im musikpädagogischen Kontext können unsichere Personen ihre Rhythmusqualitäten entscheidend verbessern, wenn ihnen sichere Mitspieler oder Mitspielerinnen an die Seite gestellt werden, bzw. die Unterrichtenden selber diese Rolle übernehmen.

Im gemeinsamen Musizieren von zwei oder mehr Personen können Synchronisierungsprozesse gewinnbringend für die rhythmische Stabilität eingesetzt werden.

Bemerkenswert ist die Erkenntnis, dass sich gemeinsames, gruppensynchrones Agieren auch positiv auf die rhythmische Gestaltungsfähigkeit des Individuums


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