- 68 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Der Weg zur Erwachsenensprache

Ungefähr mit einem Jahr beginnen Kleinkinder, erste Wörter hervorzubringen, im zweiten Lebensjahr vollzieht sich ein schneller Zuwachs, so dass zum Ende des zweiten Lebensjahres ungefähr 200 Wörter produziert werden können (Grimm 1995, S. 715). Der Fortschritt im Spracherwerb nach dem 18. Lebensmonat kann geradezu als explosionsartig bezeichnet werden; im Hinblick auf diesen erstaunlichen Kompetenzzuwachs spricht Andreas Hamburger (1995) sogar von einem »Lernbarkeitsparadox« (ebd., S. 105). Als Grundlage für diesen Vorgang wird das Vorhandensein angeborener sprachspezifischer Hirnstrukturen angenommen (vgl. Grimm 1987). Auf die verschiedenen Theorien über den Spracherwerb (Chomsky 1973 und 1974, Lurija 1970, Wygotski 1991) soll hier nicht eingegangen werden, da deren Schwerpunkte mehr auf der syntaktischen Ebene liegen, Sprache als Kodierungssystem behandeln oder den Zusammenhang von Denken und Sprechen thematisieren.

Sprachentwicklung setzt sich weiter fort, indem Einwort-Äußerungen zu Zweiwort-, Dreiwort- und schließlich komplexeren Sätzen kombiniert werden. In Sprachäußerungen von Kleinkindern sind zunächst noch alle Silben betont, im zweiten bis vierten Lebensjahr findet dann eine Umstrukturierung statt:

Die Weiterentwicklung des Sprechens besteht dann offenbar darin, dass die Kinder die Sprechgeschwindigkeit erhöhen und lernen, für die Kommunikation unwichtige Silben von der Betonung auszuschließen, d. h. lernen, auch unbetonte Silben zu erzeugen. (Kalveram 2000, S. 212).

Neben den Betonungsmustern weichen auch die Artikulation und die Anzahl der wiedergegebenen Silben zunächst von der ›erwachsenen‹ Sprache ab, dennoch ist von einem ausgesprochen frühen Erwerb verschiedener Funktionen auszugehen: schon in der zweiten Hälfte des dritten Lebensjahrs scheint die kindliche Phonologie mit der der Erwachsenensprache sowohl auf der segmentalen Ebene (d. h. die Phoneme betreffend) als auch auf der suprasegmentalen (prosodischen) Ebene in den wesentlichen Bestandteilen überein zu stimmen (vgl. Penner 2000, S. 106). Mit vier bis fünf Jahren nähert sich die Kindersprache dann endgültig der Erwachsenensprache an, variiert dabei allerdings individuell stark. Für das Sprachverständnis bleibt speziell der Aspekt des Sprachrhythmus auch für eine ausgereifte Sprech- und Sprachfähigkeit bestimmend: Reaktionszeit-Tests wiesen nach, dass die »rhythmische, zeitlich prädiktive Struktur des Sprechens eine wesentliche Bedeutung für die Prozessierung in der Sprachverarbeitung hat« (Bergmann 1987, S. 111) – dieses gilt auch noch im Erwachsenenalter.

Es bleibt festzuhalten, dass lautliche Äußerungen von Anfang an rhythmisch geprägt sind. Allerdings geschieht die erste zeitliche Steuerung von Lauten nicht willkürlich, sondern als zufällige Begleitung rhythmischer Tätigkeiten wie Atmen oder Saugen. Der Beginn der eigentlichen sprachlichen Steuerung geschieht durch die Verdoppelung bzw. Verkettung von Silben. Für den Spracherwerb spielen die Elemente der Prosodie eine erhebliche Rolle, dabei sind zwei Aspekte zu unterscheiden: zum einen ermöglichen bzw. erleichtern Akzente, Betonungen, Sprachmelodie und Klangfarbe das Sprachverständnis und dienen als unverzichtbare Brücke zum Begreifen komplexer Strukturen. Zum anderen spielt sich der Beginn der Lautäußerungen auf der Ebene der genannten Parameter ab: bevor über den semantischen


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