- 74 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Sprache und Gestik folgen rhythmisch koordinierten Mustern.
Die Qualität von Selbst-Synchronizität unterliegt psychischen Einflüssen.

Synchronizität in Interaktionen

Neben der intrapersonellen Synchronizität konnten William S. Condon und Louis W. Sander auch eine Synchronbewegung zwischen kommunizierenden Personen feststellen. Diese Zusammenhänge, »interactional synchrony« (ebd., S. 459) genannt, sind in normaler Sprech- und Bewegungsgeschwindigkeit nicht sichtbar und den Beteiligten auch gar nicht bewusst. Allerdings fanden Condon und Sander nun in ihrer Untersuchung, dass schon zwei Tage alte Säuglinge synchrone Bewegungen zu bis zu 125 Wörter langen Sequenzen (von Bezugspersonen gesprochen oder vom Band) zeigten und folgerten daraus, dass lange vor dem eigentlichen Sprachbeginn die (zeitliche) Struktur linguistischer Formen unzählige Male durch Bewegung begleitet und mitvollzogen wurde. Diese Ergebnisse zu den Sprachbegleitbewegungen – an anderer Stelle mit dem schönen Begriff ›Hörtanz‹ bezeichnet (vgl. Hamburger 1995, S. 142f.) – konnten allerdings in anderen Untersuchungen nie mehr bestätigt werden »und man neigt heute dazu, die rhythmischen Parallelen im frühen Dialog nicht als angeborene interpersonale Synchronizität aufzufassen, sondern als Ergebnis eines Frage-Antwort-Spiels, das allerdings eine sehr feine und präzise Reizerkennung und -diskriminierung auf beiden Seiten voraussetzt« (ebd.). Stern (1992, S. 124f.) beschreibt das selbst-synchrone Verhalten von Müttern ihren Kleinkindern gegenüber als besonders pointiert, so als wären diese darum bemüht, die zeitlichen Strukturen ihres Verhaltens sehr deutlich zu gestalten.

Im Zusammenhang mit dem frühen Kommunikationsverhalten weist Martin Dornes (1993) darauf hin, dass der Säugling Sinneseindrücke nicht isoliert, sondern als Ganzes, das heißt in diesem Zusammenhang als Einheit von Ton und Bild, wahrnimmt: »Differenzierung dieser Ganzheiten in separate Empfindungen ist ein Ergebnis des Entwicklungsprozesses und nicht sein Anfang« (ebd., S. 47). Umgekehrt dienen gestische Signale den Bezugspersonen als Informationsquelle über die Befindlichkeit von Kindern. Versuche, in denen Versuchspersonen das Verhalten von Säuglingen in Filmsequenzen beurteilen sollten, wiesen nach, dass Kinder, die rhythmisch agierten als ›aufgeregt‹ eingeschätzt wurden und dazu animierten, sich ihnen schnell zuzuwenden (Thelen 1981, S. 242).

Rhythmen in sprachlich-gestischem Verhalten dienen von Lebensbeginn an zur (gegenseitigen) Informationsvermittlung.

Sprachbegleitende Gestik und innere Repräsentation

Neben der interaktiven Feinabstimmung gibt es einen weiteren Erklärungsansatz zu sprachbegleitenden Gesten aus dem psychoanalytischen Umfeld. Norbert Freedman (1977) geht davon aus, dass die physische Aktivität des Sprechens konstituierender Faktor für die inneren Repräsentationen von Sprachsymbolen ist. Er nimmt an, dass Körperaktionen über die Kindheit hinaus eine Rolle in der Kodierung und Organisation von Gedanken spielen. Gestützt wird diese Annahme von der Beobachtung, dass auch Blinde, die nichts über Gesten als Zeichen oder Signale gelernt


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