- 80 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Steuerungsmechanismen des Sprechens

Zur zeitlichen Steuerung des Sprechens existieren unterschiedliche Modellvorstellungen, die sich alle darum bemühen, verschiedene Merkmale flüssigen Sprechens zu erklären. Denn Sprechen bedeutet eine extrem hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit (an den Raum, das Gegenüber, die Umgebung, den Anlass des Sprechens usw.), die durch ständige sensorische Kontrolle des Outputs ermöglicht wird. Andererseits besteht aber auch die Möglichkeit, das Sprechen hochgradig automatisiert ablaufen zu lassen (während des Sprechens ist es beispielsweise möglich, an ganz andere Dinge zu denken).

Eine Grundannahme zur Erklärung von Sprachabläufen bezieht sich auf die Existenz eines internen Zeitgebers, einer ›inneren Uhr‹. Dieser angenommene Zeitsteuerungsmechanismus sendet regelmäßige Impulse aus, die die Ausgabe der Sprachsegmente steuern (vgl. Bergmann 1987, S. 48). Im Modell für die sensorischen und motorischen Prozesse des Sprechens nach Wolfgang D. Keidel (vgl. Abbildung in Abschnitt 5.2.1) sind diese ›Clocks‹ im Thalamus angesiedelt und nehmen von dort Einfluss auf das komplizierte System von Produktion und Feedback.

An der zeitlichen Steuerung des Sprechens nimmt ein interner Zeitgeber teil, der regelmäßige Impulse aussendet.

Die Auswertung der ausgegebenen Sprachsegmente zeigt allerdings, dass es sich dabei nicht um invariante, zeitlich identische Einheiten handelt. Denn Phoneme werden kontextabhängig gebildet, anders ausgedrückt unterliegen Laute in Abstimmung mit ihrer vorausgehenden bzw. nachfolgenden artikulatorischen Umgebung minimalen Veränderungen (Bergmann 1987, S. 94ff.). Dieses Phänomen wird als Koartikulation bezeichnet.

Sprachsegmente werden nicht mit unveränderlicher, vorprogrammierter Länge gebildet, sondern in Abstimmung mit der jeweils vorausgehenden und nachfolgenden Einheit.

Fraglich ist jedoch, ob alle im Sprachverlauf möglichen Kombinationen tatsächlich zentral gespeichert und initiiert werden:

Für die Bildung der 44 englischen Phoneme ergäbe sich aus ca. 20 folgenden oder vorausgehenden Phonemen eine Zahl von ungefähr 17 000 zentral gespeicherten motorischen Kommandos (Bergmann 1987, S. 58).

Flexible Sprechgeschwindigkeiten und Betonungsmuster würden diese Zahl ins Unendliche erhöhen. Diese Erkenntnis führte zur so genannten ›Target-Theorie‹ (ebd., S. 59), der Annahme, dass ein flexibles motorisches System in der Lage ist, Ziele zu realisieren. Offen bleibt dabei, ob diese Ziele auditiver Art sind oder räumlich-zeitliche Parameter der Artikulation betreffen. Auch Shaffer (1982) nimmt in seinen Ausführungen zu Fertigkeiten wie Sprechen, Musizieren oder Maschineschreiben ein zeitliches Ziel, ein »temporal goal« (ebd., S. 111) an. Er geht davon aus, dass das motorische System selber in der Lage ist, ein vorgegebenes Zeitintervall in eine Bewegungsbahn entsprechender Dauer umzusetzen. Die Steuerung geschieht dabei nicht seriell sondern auf das zeitliche Ziel bezogen, also antizipierend. Neben der motorischen Programmierung betont auch Shaffer die Existenz eines auditiven Kontrollsystems.


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