- 88 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Diese geringere Rehearsalleistung von Kindern – oder auch sprachbeeinträchtigten Personen – erklärt sich auch durch den oben erwähnten Zusammenhang mit motorischen Funktionen: äußeres Sprechen bedingt inneres Sprechen. Und äußeres Sprechen ist abhängig von fein differenzierten motorischen Vorgängen. Wie die Steuerung der Bewegungskontrolle sich im Kindesalter entwickelt, hatte schon Abschnitt 4.4 dargestellt. Kinder sprechen im Vergleich mit Erwachsenen langsamer, das Sprechtempo wiederum bedingt die Geschwindigkeit des ›rehearsals‹. Somit ist die schlechtere Gedächtnisleistung von Kindern in Bezug auf die Reproduktion von Stimuli (auch) durch motorische Defizite verursacht: »Erst zum Ende der ersten Lebensdekade erreichen Kinder mit Erwachsenen vergleichbare verbale Arbeitsgedächtnisleistungen.« (Bednarczyk 2000, S. 17).

Außerdem weist Jacek Bednarczyk darauf hin, dass Kinder im Alter von sechs Jahren »auditorisch präsentierte Items lautlos wiederholen, wohingegen das spontane Rehearsal vom visuell präsentierten Material erst im Alter von ca. 10 Jahren einsetzen soll.« (ebd., S. 18). Somit ist davon auszugehen, dass sich die Fähigkeit zur Anwendung sinnvoller Strategien erst entwickeln muss. Mit fortschreitendem Alter wiederum sind Gedächtnisfunktionen auch Abbau-Prozessen unterworfen: Bednarczyk (ebd., S. 26) verweist auf eine Untersuchung mit Menschen zwischen 20 und 68 Jahren, die zwar einen Anstieg im wissensbezogenen Gedächtnisbereich fand, einen Abstieg dagegen in der Funktion des Arbeitsgedächtnisses. Diese Reifungs- und Alterungsprozesse gehorchen inneren Gesetzen und sind von außen kaum zu beeinflussen.

Das Kind erlangt erst allmählich die volle Funktionstüchtigkeit des Arbeitsgedächtnisses, bei Menschen im hohen Lebensalter ist damit zu rechnen, dass diese wieder nachlässt.

Arbeitsgedächtnis und musikalischer Rhythmus

Weiter oben war darauf hingewiesen worden, dass die phonetische Schleife in der Lage ist, visuell-räumliche Informationen verbal umzukodieren und somit dem inneren Sprechen zugänglich zu machen, um einen Übergang in den Langzeitspeicher zu ermöglichen. Da Musik durchaus auch in räumlichen Kategorien beurteilt wird (hoch/tief, Vordergrund/Hintergrund, benachbart/entfernt u. ä.) ist die Annahme berechtigt, Musik könne sowohl im verbal-auditiven als auch im visuell-räumlichen Subsystem verarbeitet werden (vgl. Lange 2002, S. 48). Die Frage, in welchem dieser Systeme musikalische Prozesse stattfinden, kann mit Hilfe entsprechender Versuchsaufbauten geklärt werden. Auf das Phänomen der so genannten ›artikulatorischen Unterdrückung‹ war weiter oben verwiesen worden: wird gleichzeitig mit der Wahrnehmung von Stimuli gesprochen, unterdrückt dies die innerlich ablaufenden Rehearsalprozesse – und damit den Übergang in den Langzeitspeicher. Der Nachweis, dass das Unterdrücken von Rehearsalprozessen die Reproduktion von Rhythmen stört, deutet darauf hin, dass Rhythmen im phonetischen Speicher verarbeitet werden. Rhythmisches Rauschen während visuell dargebotener Gedächtnisaufgaben wiederum störte mehr als kontinuierliches Rauschen oder Stille (ebd., S. 49). Dies deutet darauf hin, dass Rhythmen (auch) im visuell-räumlichen Subsystem bearbeitet werden.


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