musikalischer und klanglicher
Strukturen während des Aufnahmeprozesses. Über die letztendliche Gestalt des
Musikstücks entscheidet dann ein abschließender Abmischvorgang, in dem aus dem
bisher geschaffenen Klangfundus ausgewählt und die einzelnen Spuren zu einem
Gesamtklang zusammengefügt werden. Das Mehrspurstudio wird somit zum
überdimensionalen Kompositionswerkzeug.
Quasi ein Bindeglied zwischen der Arbeit mit professioneller Tonstudiotechnik und
der heute gängigen Arbeit am PC ist das Homerecording der 1970er, 1980er
und beginnenden 1990er Jahre. Mit der Verfügbarkeit vereinfachter, für den
Breitenmarkt konzipierter Mehrspurgeräte wurden Studiotechnologien zumindest
ansatzweise auch Amateurmusikern zugänglich. Die Eigenproduktion von Musik im
privaten Vier- oder Achtspur-Heimstudio wurde zum verbreiteten Phänomen.
Bezüglich der künstlerischen Möglichkeiten, der Art und des Umfangs des Einsatzes
technischer Medien und der sozialen Organisation entwickelte sich damit eine von
bisherigen Musizierformen divergierende, neue Musikpraxis. Homerecording
ist gleichsam Vorform als auch Grundmodell der Musikproduktion mit dem
PC.
Dieses Kapitel betrachtet technologische, künstlerische und soziale Aspekte der
Mehrspurtechnik wie auch ihre Wandlung zum Homerecording und die hiermit
verbundene Einbindung in amateurmusikalische Betätigungsfelder. Diese Rückschau auf
analoge Aufnahmeverfahren wurde gewählt, weil sich die Besonderheiten des
Recordings mit dem PC nur bei Kenntnis der aus analoger Technik hervorgegangenen
Produktionspraktiken und Organisationsformen verstehen lassen.
1.1. Mehrspurtechnik
Grundlage der Mehrspuraufnahme (Multitrack Recording) ist die Klangaufzeichnung auf
Bandmaterial, welches in synchron verlaufende, voneinander unabhängig be- und
abspielbare Spuren unterteilt ist. Hierzu dient ein Aufnahmegerät, das für jede Spur
eigene Schreib- und Wiedergabeköpfe bereitstellt. Prinzip des Mehrspurverfahrens ist die
klanglich separierte Behandlung einzelner Stimmen, die dann in einem abschließenden
Abmischvorgang zu einem einheitlichen Klanggebilde zusammengefügt werden.
Mehrspurband ist vergleichbar einer Partitur angelegt, mit einer horizontalen Achse, die
den zeitlichen Ablauf vorgibt, und einer vertikalen Achse, die den Zusammenklang der
aufgenommenen Spuren umfasst (Gracyk 1996, 51). Die Aufnahme kann an jedem
horizontalen oder vertikalen Punkt des Bandes beginnen, ist also weder an den zeitlichen
Ablauf des Musikstücks gebunden, noch bedarf es der gleichzeitigen Anwesenheit aller
Interpreten. Hieraus resultierendes Verfahren ist das Overdubbing, d. h. die
sukzessiv erfolgende Aufnahme einzelner Spuren durch einen oder mehrere
Musiker.
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