- 22 -Menzel, Karl H.: PC-Musiker 
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Keyboardsound –, mit der Komposition neuen Materials oder mit der formalen und klanglichen Ausdifferenzierung vorbereiteter Stücke sowie schließlich mit dem Abmischen der Bänder. Gleichsam steht der Zugang zu solch ausgedehnten Aufnahmesessions nicht allen Künstlern offen. Konnten es sich die Großverdiener Fleetwood Mac nach dem Erfolg ihres Millionensellers Rumors leisten, für das Nachfolgealbum Tusk ganze drei Jahre in diversen Studios zu verbringen, so heißt es für Bands mit weniger ausgeprägtem Etat auch weiterhin, das für die Aufnahme gedachte Material im Vorfeld möglichst genau einzustudieren, um es dann in aller Kürze auf das Band zu bringen.

Das Mehrspurband als elektromagnetische Spielanweisung

Die Konstruktion von (Rock-) Musik im Studio führt zu einer Umkehrung des Zusammenhangs von Probe und Aufnahme. Findet das Einüben von Stücken traditionellerweise vor dem Einspielen statt, so ist dies bei der erst im Studio entstehenden Musik genau entgegengesetzt. Somit wird es Aufgabe der Musiker »to re-create [. . . ] what had been created in the studio« (Gracyk 1996, 13; Hervorhebung im Orig.). Zwar sind alle Parts in der ein oder anderen Form schon bei der Aufnahme einmal gespielt worden; der letztendlich auf Platte erklingende Ablauf ist aber meist das Ergebnis von Overdubs und Schnitten. Little-Feat-Gitarrist Lowell George beschreibt, wie die Stücke der Band im Studio aus mehreren längeren, teilweise als »three hour sessions« eingespielten Fassungen zusammengeschnitten und mit Überspielungen versehen wurden. Für das Live-Spiel war dann das Erlernen der neuen Formen und Abläufe erforderlich: »[E]veryone had to learn them from scratch again, to be able to play them as they appeared on the albums« (in: Kendall 1976, 6; zit. n. Spieß 2000, 198). Die Aufnahme entspricht dabei einer Art elektromagnetischer Partitur: »Tape to me is like notepaper« (ebd.). Neu ist dieses Einstudieren nach einer akustischen Vorlage indes für das Gros der Musiker nicht, greift es doch Aneignungsstrategien auf, die bei der zumeist oral tradierten und autodidaktisch erlernten Rockmusik zum Alltag gehören (vgl. Kleinen 2000). Allerdings ist die Umsetzung von Studioarrangements nicht immer ein leichtes Unterfangen. Der Unbegrenztheit des Studios steht die Begrenztheit der Konzertsituation gegenüber. Dies betrifft einerseits die rein musikalische Leistung: Häufig verfügt die virtuelle Studioband durch eine Vielzahl von Overdubs über mehr Instrumentalisten oder Sänger als live zur Verfügung stehen. Das Live-Arrangement kann deshalb oft nur ein Extrakt der Studioversion darstellen. Andererseits gilt es auch den spezifischen Sound einer Aufnahme zu reproduzieren. Mit aufwändigen PA- (Public-Address-) Systemen wird versucht, zumindest einen Teil der im Studio eingesetzten Technik auch im Konzertsaal verfügbar zu haben. Mehrspurtechnik spielt auch hier die herausragende Rolle. Wie bei der Aufnahme wird auch hier jede Klangquelle separat abgenommen, mit Effekten versehen und wieder in den Gesamtmix integriert. Die im Studio oftmals in langwierigen Soundtüfteleien erarbeiteten klanglichen Feinheiten lassen sich aber auch mit der besten PA-Anlage nicht immer zufriedenstellend wiederbeleben. Gerade bei aufwändig produzierten Vorlagen kann im Konzert bestenfalls eine Annäherung an den von der Platte bekannten Sound erfolgen.8

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Als ein Indiz für die auch vom Rezipienten wahrgenommenen spiel- und klangtechnischen Einschränkungen von Live-Darbietungen zeigt sich die unterschiedliche Akzeptanz von Studioaufnahmen und Konzertmitschnitten. Zwar sind Live-Auftritte als Event und als Begegnung mit den ›leibhaftigen‹ Künstlern immer gefragt. Die Verkaufszahlen der ›Originale‹, d. h. der Studioproduktionen, liegen aber in den meisten Fällen signifikant über denen von Live-Aufnahmen (Gracyk 1996. 79ff). Für einige Musiker ist es hingegen gar nicht erstrebenswert, im Studio aufgenommene Musik auch live umzusetzen. Schon die späteren Aufnahmen der Beatles waren reine Studioprodukte und nicht für die Bühne gedacht. Musiker wie Brian Eno beschränken sich weitestgehend auf die Arbeit im Studio, ohne Bereitschaft zu Live-Auftritten: »Ich spiele nicht gerne auf der Bühne. Ich bin nicht fähig auf der Bühne kreative Musik zu machen ich müßte einige Songs lernen, sie proben und dann Nacht für Nacht herunterspielen. Ich bin im Studio kreativ« (in: Gillig 1977, 22).


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