- 115 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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heit ihrer politischen Anschauungen in Betracht. Lenz entwickelt eigene Theorien über den Soldatenstand. Seine Vorstellungen möchte er Herzog Karl August näherbringen. Sein besonderes Verhältnis zu Goethe reflektiert er in dem Briefroman Der Waldbruder, den er zwischen Juli und November 1776 verfaßt. Für den Beginn des Streits mit Goethe dürften wechselseitige Eifersucht ausschlaggebend sein. Seit Herbst 1775 wirbt Goethe um Charlotte von Stein. Sie lädt nicht Goethe, sondern Lenz nach Schloß Kochberg ein. Goethe verbittet sich jede Nachricht von dort. Lenz verbringt sieben Wochen auf dem Schloß - und schreibt Goethe von seinem Glück. Auch Goethes Schwester und Friederike Brion steht er nahe. Seine dichterischen Reflexionen über beide Frauen schickt er wiederum ("arglos", wie Sigrid Damm meint) Goethe zu.

     Lenz verläßt Weimar am 1. Dezember 1776. In Emmendingen findet er Zuflucht bei Goethes Schwester und ihrem Ehemann. Weihnachten und das Frühjahr 1777 verbringt er bei ihnen, geht nach Straßburg, Kolmar, Basel und schließlich nach Zürich, wo er für ein Vierteljahr im Hause Lavaters lebt. Er bereist die Schweiz, kehrt nach Emmendingen, wo Goethes Schwester Cornelia bei der Geburt ihres zweiten Kindes starb, und schließlich in die Schweiz zurück. Alle Versuche, seine Existenzkrise zu überwinden, mißlingen. Ohne sein Wissen sammeln Freunde für den inzwischen hochverschuldeten Dichter. Nach einem neuerlichen Besuch in Emmendingen kommt er zum Pfarrer Oberlin nach Waldersleben. Er vertritt das Pastorat und hält während Oberlins Abwesenheit die Messe. Doch verschlechtert sich sein Zustand. Am Morgen des 8. Februar 1778 wird er als gefährlicher Verrückter aus dem Pfarrhaus nach Straßburg gebracht.

     Die folgenden Monate vergehen mit Anfällen und zum Teil drastischen Heilungsversuchen von Freunden und Bekannten. Goethes Schwager Schlosser kümmert sich fast ein Jahr um ihn. Von Jena kommt im Sommer 1779 der jüngere Bruder Karl. Mit Goethes finanzieller Unterstützung reisen sie nach Livland. Dort angekommen bemüht Lenz sich vergeblich um eine Anstellung am Hofe der Zarin Katharina in Sankt Petersburg. Ihm fehlen Protektion und eine abgeschlossene Berufsausbildung. Zwei Jahre irrt er durch Livland. Im Sommer 1781 geht er nach Moskau. In den elf Jahren bis zu seinem Tode, die er in Moskau zubringt, schreibt und übersetzt er.

     Während fünf Jahren arbeitet er als Hauslehrer in verschiedenen privaten Stellungen und an öffentlichen Schulanstalten. Für das Schulwesen schmiedet er Reformpläne, die jedoch ohne Wirkung bleiben. Entmutigt zieht er sich auf die Arbeit als Übersetzer zurück und sehnt sich nach dem Westen. Er schreibt an Friederike Brion. An den Tanz mit ihr auf den Rheininseln erinnert er sich als der schönsten Zeit seines Lebens. Doch kommt er nicht mehr dorthin zurück. Die zunehmend repressive Politik


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