- 123 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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dient weder der Unterhaltung noch dem bloßen Zeitvertreib. Sie ist Bestandteil eines bedeutsamen Kultes der festlichen Bürgerschaft und der gesamten Polis. Sie ahmt nicht possenhaft Vorgänge des äußeren Lebens nach und ist nicht mimischen Ursprungs. Schauspiel und Dialog treten vemutlich spät hinzu oder sind am Anfang von untergeordneter Bedeutung. Tanz und Gesang des Chores sind Ausgangspunkt und für lange Zeit Mittelpunkt der antiken Tragödie.

     Zu Zeiten des Äschylos gibt es eine Reihe stummer Rollen. Erst spät kommt das gesprochene Wort mehreren handelnden Personen zu. Rede und Dialog sind durch Volksversammlung und Gericht, die Dichtung durch Homer vorbereitet. Homers Ilias und Odyssee kommen dem Drama nahe, ohne jedoch die Bühne notwendig zu machen. Gottesdienst und Hyporchema kennen dramatische Elemente. Dort trägt der Priester das Kostüm des Gottes und Szenen des Mythos werden dargestellt. Hier tritt der Einzelne aus der Chorreihe hervor und stellt tänzerisch und mimisch den gesungenen Text dar.

     Die Bevölkerung Griechenlands liebt die kultischen Formen. Die Gestalten und Ereignisse der Mythologie sind im Volk lebendig. Auf ihrer Grundlage entsteht die attische Tragödie. An den regelmäßigen Festen zu Ehren des Gottes Dionysos wird der Dithyrambus getanzt und gesungen. Hinter seinem Namen verbergen sich Lieder und Tänze der verschiedensten Stimmungen, von den fröhlichen und jauchzenden des Frühlings bis zu den Trauergesängen, die die Leiden des Gottes Dionysos zum Gegenstand haben. Um 536 v. Chr. tritt dem Chor ein einzelner Schauspieler gegenüber. Er trägt wechselnde Masken und übernimmt demzufolge verschiedene Rollen. Die Hauptsache aber bleiben der Chor und dessen Tänze und Gesänge. Noch stehen Rede und Dialog am Rande. Sie geben Anlaß für die verschiedenen Affekte des Chores. Die Stoffe zur frühen Tragödie sind der Mythologie entnommen. Die Personen und Ereignisse der Mythologie sind dem Zuschauer vertraut. Die Kraft, die das moderne Schauspiel aufwendet, um die Handlung zu exponieren, bleibt der griechisch-antiken Tragödie erspart. Ein szenischer Realismus, der Ort und Zeit der Handlung auf der Bühne repräsentiert, erübrigt sich. Als Höhepunkt des dionysischen Festes ist die Tragödie ihrem Ursprung nach "ideal".

     Stelzschuh und Kopfputz erhöhen die Spieler, die nun in ihrer Gesamtheit Masken tragen. Ihre Anzahl übersteigt selten die Dreizahl. Ihnen steht der Chor gegenüber. Nachdem das Holzgerüst, das in Athen als erstes Theater dient, unter der Last zusammenbricht, entsteht das große Theater am Fuße der Akropolis. Sein Aufbau mit der zentralen Orchestra und der dahinter zurückliegenden Szene verdeutlicht, daß der Chor noch um 500 v. Chr. im Mittelpunkt steht. Um die Handlung des Protagonisten auf der Bühne zu sehen, müssen zwei Drittel der Zuschauer schräg sitzen. Die


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