- 122 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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sich im inneren der "Kugelgestalt der Zeit": Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit werden vertauschbar: Ulysses-Bloom durchwandert die Tag- und Nachtstädte und repräsentiert eine Form von "Gegenwart", die Joyce durch das Gleichnis des "put allspace in a nutshell" ausdrückt und Pound sagt: "Morgen bricht über Jerusalem an indes Mitternacht noch die Säulen des Herkules verhüllt. Alle Zeitalter sind gegenwärtig. Die Zukunft regt sich im Geiste der Wenigen ...".

  So ist der Weg zu den "Soldaten" Lenzens nicht weit: die Erkenntnisse sind im Grunde die gleichen.

(B. A. Zimmermann, "Über die Soldaten" 96)


Zimmermann verändert die zweifellos veraltete Sprache des Textes nicht. Drei Gedichte von Lenz fügt er ein. Sie sind im Drama selbst nicht enthalten, ebenso Ausrufe bei verschiedenen Tänzen. Doch komprimiert er die dramatische Struktur an einigen entscheidenden Stellen. Mehrere Szenen zeigen Handlungen gleichzeitig, die bei Lenz aufeinanderfolgen. Die Offiziersszenen drängt er zu Collagen zusammen. Die erste Szene des vierten Aktes zeigt nicht weniger als zehn Szenen gleichzeitig. Das "Hinabschießen in die Zeitspirale" ist für Zimmermann eines der faszinierendsten Momente des Dramas. Darin liegt für ihn "zwingender Reiz zur Komposition des Stoffes" ("Drei Szenen" 94).

     Die Musik zur Oper beruht auf einer symmetrischen Allintervallreihe. Mit Hilfe eines Kompositionsverfahrens, das er als "spätseriell" bezeichnet, möchte Zimmermann den "pluralistischen Klang in seiner ganzen Vielfalt" verwirklichen, um den "zeitlosen Anachronismus der Oper durch seine Paradoxie zu verzeitlichen und dadurch in die ständige Gegenwart von Vergangenheit und Zukunft hereinzuholen" ("Drei Szenen" 95).

     Als mögliche Analogie zur Handlungsstruktur der Oper Die glückliche Hand von Arnold Schönberg begegnete uns das dreigängige kretische Labyrinth. Auf die Analogie der dramatischen Anlage der Oper Die Soldaten mit der Spirallinie weist Zimmermann mehrfach hin. Gemeint ist die konzentrische Spirale, die sich zu ihrer Mitte hin zusammenzieht. Der Radius der Umgehung des Zentrums wird beständig kleiner. Trotz aller Unterschiede sind die Gemeinsamkeiten bei Schönberg und Zimmermann evident: Verdichtung der Handlungsstruktur mit dem Ziel einer Perepetie, die äußerste Verzweiflung und Todesangst zum Ausdruck bringt.

     Die Verbindung zur Spirale und zum Labyrinth als choreographischen Grundfiguren von Reigentänzen ist für unseren Zusammenhang bedeutsam. In seiner Kulturgeschichte Griechenlands weist Jakob Burckhardt auf die Entstehung der antiken griechischen Tragödie im fünften vorchristlichen Jahrhundert aus den Dithyramben, den Reigentänzen und Gesängen zu Ehren des Gottes Dionysos hin. Die antike Tragödie


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