- 136 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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Zur Theatralik von NS-Architektur deutet Dieter Bartetzko die Revue der zwanziger Jahre als Bestandteil eines "Veitstanzes ins 20. Jahrhundert". Tanz und Körpersprache der Revue sind für ihn Indikatoren gesellschaftlicher Hysterie. Nach dem Vorbild von Ausdruckstanz und Massenpantomime ist sie Muster einer profanen "Kommunion zwischen Star und Zuschauermenge, in welcher die späteren Auftritte nationalsozialistischer Führer unfreiwillig vorweggenommen sind". Zur Treppe als eines unverzichtbaren und symbolträchtigen Requisits der Revue führt Bartetzko aus:


Auf ihr erscheint der Star, zunächst hinterfangen vom oszillierenden Licht der Scheinwerfer, gleichsam als durch die Treppe über die Masse erhoben und dennoch mit ihr verbundene Verkörperung des Lichts. Umrauscht von den Tönen einer Auftrittsmelodie beginnt dann der Star zum Publikum herabzuschreiten. Schleppen und Draperien, Federboen u.ä. und vor allem der erwähnte, überdimensionale Kopfputz dienen dazu, die gravitätischen Bewegungen effektvoll zu unterstreichen. Während der Star sich langsam nähert, zelebriert das Ballett, die sog. 'chorusline', stellvertretend für den zur Passivität verurteilten Zuschauer einen betont lustvollen Akt der Unterwerfung. Als Ministranten dieser profanen Kommunion verharren sie, mit strahlenden Gesichtern, als Adoranten der Erscheinung oder vermitteln, den einen Arm in Richtung Star, den anderen zum Publikum gereckt, zwischen beiden. Überwältigt vom Erscheinungswunder, beginnt die 'chorus-line' zu tanzen, bis der Star, zuweilen getragen oder buchstäblich auf den Köpfen des Balletts tanzend, den Bühnenboden erreicht hat. Das momentweise synchrone Mittanzen des Stars dient nur vordergründig der Demonstration von außergewöhnlichen Fähigkeiten. Es funktioniert vor allem im Sinne einer Menschwerdung, führt das Oberhaupt sekundenweise als Gleiche unter Gleichen vor. Die Menschwerdung gipfelt, nach vollzogener Darbietung, in der obligatorischen Schlußverbeugung, die ein - distanziertes - "Bad in der Menge'' andeutet. Der Abgang, häufig auf den Schultern der chorus-line, beschließt das Ritual.

(Bartetzko, Zwischen Zucht und Ekstase 42-43)


Der Revue vergleichbare Lichteffekte verwendet Zimmermann am Beginn der später zu behandelnden ersten Szene des vierten Aktes. Blitzartig werden in Breite und Höhe Teile der Bühne, auf denen verschiedene Stationen der Handlung sichtbar werden, von Scheinwerfern erhellt. Ebenso sei an die Treppen beim Tanz der drei Fähnriche in der ersten Szene des zweiten Aktes erinnert. Kurze Steptanzeinlagen parodieren das pseudoreligiöse Gespräch zwischen dem Feldprediger Eisenhardt und dem Offizier Pirzel und leiten den nachfolgenden polyphonen Steptanz der drei Fähnriche ein. In der Partitur erscheinen zu den Tanzabschnitten Anmerkungen wie: "tanzt ausgelassen ein paar Stufen herunter", "tanzen einige Stufen herunter", "auf der Treppe", "Treppe", "am Treppenabsatz", "Die drei jungen Fähnriche wieder auf der Treppe; in beiden Richtungen hinauf und hinunter" (B. A. Zimmermann, Die Soldaten 190-


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