- 139 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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Bewegungsfiguren Labyrinth und Spirale. Kaum zufällig spricht Bernd Alois Zimmermann im Zusammenhang der kompositorisch dichtesten Passagen der Oper Die Soldaten (wie sie in der ersten Szene des zweiten Aktes und am Beginn des vierten Aktes gegeben sind) vom "Hinabschießen in die Zeitspirale" (Vgl. S. 122). Und es bedeutet keineswegs, die Spekulation zu weit zu treiben, wenn wir an Karl Kerényis mythologische Deutung von Labyrinth und Spirale als Tore zur Unterweltgöttin erinnern.



2.9 Der Angsttraum


     Im Kaffeehaus in Armentières spielt auch die erste Szene des vierten Aktes. Sie hat den Charakter eines Angsttraums. Die Anordnung der Tische auf der Bühne gleicht der ersten Szene des zweiten Aktes. Die Personen sind Marie, ihre Schwester Charlotte, Wesener, dessen Mutter, Stolzius und seine Mutter, die Gräfin und der junge Graf, Desportes und Eisenhardt. Von Raum und Zeit losgelöst, überlagern sich mehrere frühere Szenen. Zwei Filmleinwände sind auf der Bühne, eine weitere für alle Zuschauer sichtbar außerhalb der Bühne angebracht.


"Schauplätze" sind das Kaffeehaus, ein Saal im Hause der Madame Bischof und ein imaginäres Tribunal, bestehend aus allen singenden Darstellern. Insgesamt ist die Szene gewissermaßen in Dunkel gehüllt; die Bühne wird in Höhe, Breite und Tiefe blitzartig von Bruchteilen der verschiedensten Szenen erhellt, hin und herflackernd wie im Traum. Die Szene stellt insgesamt die Vergewaltigung Mariens als Gleichnis der Vergewaltigung aller in die Handlung Verflochtenen dar: brutale physische, psychische und seelische Vergewaltigung.

     Die Darsteller werden ggf. zweimal gedoubelt: einmal durch Tänzer, ein andermal durch Schauspieler, ggf. durch beide. ... Diese Szene spielt - wie die gesamte Oper: heute ebenso wie gestern und morgen! Die 3 Filmleinwände sollen nicht scharf, viereckig begrenzt sein, sondern die Illusion nähren, daß das Filmgeschehen sich in die Szene hinein fortsetzt, resp. aus ihr hervorwächst".

(B. A. Zimmermann, Die Soldaten 427)


Während des Orchestervorspiels bleibt die Bühne dunkel. Am Ende des Vorspiels schreit der Bedienstete der Gräfin in das Publikum hinein: "Marie fortgelaufen!" (B. A. Zimmermann, Die Soldaten 427). Am Beginn der Szene sind die Emporen verdunkelt, die Offiziere bleiben unsichtbar. Während sie unregelmäßig einsetzend Textbruchstücke der vorangegangenen Handlung rhythmisch deklamieren, leuchten beim


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