- 189 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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seiner Elemente ins kompositorische Gefüge. Erst als bekannte und vertraute musikalische Begriffe können sie in der für Mahler bezeichnenden Weise in den musikalischen "Immanenzzusammenhang" eingreifen. Hier fungieren sie, in ihrem Grundschema variiert, oft als einbrechende äußere Wirklichkeit. Die Frage, woher sie stammen, ist nach Eggebrecht unbedeutend. Entscheidend ist, "daß es sie gibt ... Das Moment des schon Dagewesenen ist hier konstitutiv: Es macht das Wesen der Vokabeln aus" (Eggebrecht, Die Musik Gustav Mahlers 68).

     Die Funktion der musikalischen Vokabeln, deren Verwendung nach Eggebrecht das "Prinzip Mahler" konstituieren, ist das "Abbilden der Welt, wie er sie sieht" (Eggebrecht, 96). Von Bedeutung ist wieder die Subjektivität der Perspektive. Die musikalischen Vokabeln bestehen nicht bereits mit jenem "vorkompositorischen Material", auf das Mahler zurückgreift. Erst die subjektiv-artifizielle Einbindung und Verwandlung des schon Dagewesenen und Bekannten macht jene Vokabeln zu spezifisch musikalischen Bedeutungsträgern. Die Fähigkeit, etwas anderes als sie selbst sind zu benennen, erhalten sie im kompositorischen Formprozeß. Indem sie Gegenstand einer Anknüpfung sind, werden Lieder, Tänze, Märsche, Naturlaute und Signale zu Vokabeln. Zu musikalischen Sinnträgern macht sie der durchdachte und geformte artifizielle Zusammenhang. Auch hier bedürfen sie freilich der "Bezeichnungskraft, die sie aus ihren Herkunftsbereichen mitbringen" (Eggebrecht, 69).

     Am Beispiel der Signale aus den Symphonien Gustav Mahlers wird deutlich, was Eggebrecht als musikalische Vokabel bezeichnet. Das Trompetensignal, das die lyrische, traumverwandte Episode des Posthornsolos im Scherzo der Dritten Symphonie beendet, ist "extreme Vokabel". Eggebrecht weist auf Übereinstimmungen jenes Signals mit dem Militärsignal des "Exercierreglements für die K. u. K. Fußtruppen" hin (Eggebrecht, 82). Das militärische Signal als solches löst eine Handlung aus. Die musikalische Vokabel Signal erinnert an jenes Signal. Seine unreflektierte Funktion löst sich im artifiziellen Kontext auf. Die vorgeschriebene oder verabredete Bedeutung schwindet. Das Signal löst nun eine Vorstellung aus: die Vorstellung "Signal", das Signal schlechthin. Mit der assoziativen Grundbedeutung verbinden sich Vorstellungsinhalte, die durch Anknüpfung an das Vorartifizielle mitgeliefert werden: ">Obacht!< oder >Ankündigung< oder >Befehl von oben<) usw., und die eine gespannte >Erwartung< auf dasjenige auslösen, was da angekündigt oder befohlen worden ist und eine neue Lage, einen veränderten Zustand zur Folge haben wird" (Eggebrecht, Die Musik Gustav Mahlers 83).

     Jenes oben erwähnte Trompetensignal, das formal betrachtet das Trio im Scherzo der Dritten Symphonie beendet und die Reprise einleitet oder vielmehr abrupt, "schnell und schmetternd" und "ohne Rücksicht auf das Tempo" (wie Mahler in der


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