- 188 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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Das ängstlich Erhoffte wird im "Durchbruch" zu einer über ästhetische Theorie und ästhetische Erfahrung hinausreichenden Vision geschichtlicher Wahrheit, die ihren Ursprung im Religiösen nicht mehr verleugnet. Nach Adorno berührt der "Durchbruch" die gesamte Form der Ersten Symphonie. Die verkürzte Reprise findet ihr Gleichgewicht zur Exposition nicht. Sie schrumpft zum hastigen Epilog (Vgl. Adorno, Mahler 154).

     Den geschichtlichen Ort der Angst sieht Adorno am Beginn des 20. Jahrhunderts. Mahler ist für ihn Seismograph seiner Zeit. Seine Fanfaren lösen die Angst aus dem unbestimmten, alltäglichen Erleben heraus. Mit Macht stemmen sie sich der Furcht entgegen und zeigen, was an ihr "trivial und banal" und was berechtigt, mithin Angst an ihr ist. "Tätigkeit" ist nach Adorno "nicht bloß, wie die Ideologie es lehrt, das sinnvolle Leben sich selbst bestimmender Menschen, sondern auch der eitle Betrieb ihrer Unfreiheit. In der bürgerlichen Spätphase wird daraus das Schreckbild blinden Funktionierens. Das Subjekt ist eingespannt in den Weltlauf, ohne darin sich wiederzufinden, ohne ihn von sich aus verändern zu können" (Adorno, Mahler 155).



2.3 Sprachcharakter


Den "umgangssprachlichen Ton" in der Musik Gustav Mahlers bezeichnet Hans Heinrich Eggebrecht 1982 als Teil des musikalischen "Vokabulars", über welches Mahler verfügt. Der für seine Musik charakteristische Eindruck des "bereits Dagewesenen" und "Bekannten" entsteht durch die im engeren Sinne Volks- und Alltagsmusik umfassenden und im weiteren Sinne "Wendungen der Kunstmusik" einschließenden sprachähnlichen Gebilde, welche von Mahlers Kritikern als "banal, trivial, epigonal" beurteilt werden, da sie scheinbar im Widerspruch zur Forderung nach "Originalität" stehen. Daß die umgangssprachlichen Momente, jene "Vokabeln", nicht nach den überkommenen ästhetischen Kriterien, sondern nach denen ihres Sprachcharakters, nach ihrer Bedeutung in dem für Mahlers Musik spezifischen musikalischen Kontext befragt werden wollen, verdeutlicht Eggebrecht am Beispiel von Mahlers Symphonik, im besonderen der Ersten bis Vierten Symphonie. Deren musikalisches Vokabular knüpft an "vorkompositorisch geformte Materialien" an, die durch "Gebrauch, Funktion und Tradition" genormt und in ihrer Bedeutung gefestigt sind.

     Daß sie intersubjektiv aufgefaßt und wiedererkannt werden können, steht ihrer artifiziellen Verwendung nicht im Weg. Der Sprachcharakter von Mahlers musikalischem Vokabular ist vielmehr Bedingung der kompositorischen Gestaltung und Einbindung


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