- 195 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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Auf Schönbergs schöpferisches Selbstverständnis wirken sich über Mahlers Einfluß hinaus seine Freundschaft zu der psychoanalytisch geschulten Medizinerin, Schriftstellerin und Librettistin des Monodrams Erwartung Marie Pappenheim sowie die Freundschaft mit dem Architekten Adolf Loos aus, der psychoanalytisches Denken in seine Schriften einfließen läßt (Vgl. Nagler, "Restauration und Fortschritt" 163). Die ersten "Freudianischen Musikdramen" Arnold Schönbergs stehen der später von Freud revidierten Auffassung von der überwiegend sexuellen Ätiologie der Angstneurose nahe. Mit der Entwicklung der Psychoanalyse zu metapsychologischen Beschreibungen der Angst löst sich im Verlaufe der zwanziger Jahre auch die Musik Arnold Schönbergs von den körpergebundenen, dramatischen Formen der Angstverarbeitung.

     In der Begleitmusik zu einer Lichtspielszene (Drohende Gefahr, Angst, Katastrophe) opus 34 deutet Schönberg im Jahre 1933 Vorgänge bei der Entstehung der Angst mit Mitteln der Zwölftonkomposition. Den Vorgang der Abspaltung von Gedanken und den ihnen zugehörigen Assoziationen bei der Verdrängung beschreibt Freud in "Hemmung, Symptom und Angst". In der Begleitmusik zu einer Lichtspielszene bringt Schönberg den musikalischen Hauptgedanken durch ein Zwölftonthema der Oboe (Hauptstimme Takt 8-12) zum Ausdruck. In der Folge eines Angstsignals, das in Takt 42-43 die "Exposition" von einem durchführungsartigen Formteil trennt, spaltet er Zwei- und Dreitonmotive von der dem Werk zugrundeliegenden Zwölftonreihe ab. An die Stelle des eingangs durch das chromatische Total repräsentierten musikalischen Gedankens tritt, einem zwanghaft rhythmischen Ritual vergleichbar, die ostinate Repetition des abgespaltenen Tonmaterials. Am Ende der "Durchführung" ruft in Takt 170 ein zweites katastrophisches Angstsignal das gesamte chromatische Tonmaterial zu einem Akkord zusammen. In der Sphäre des Bedrohlichen verharrt auch die Reprise. Das Zwölftonthema des Anfangs ist nun auf vertikale und horizontale Tonanordnung verteilt. Ausgangspunkt des Komponierens zum Thema Angst aber ist am Beginn des 20. Jahrhunderts die Symptomatologie der Angst im frühen Freudianischen Verständnis, sind Schwindel und Impuls zur Flucht, musikalisch gesprochen: Walzer und Fanfare.

     Angstsignale gehören zum Grundbestand rhythmischer Ausdrucksgestalten im 20. Jahrhundert. Schönberg verwendet sie nach dem vierten der Fünf Orchesterstücke opus 16 mit dem Titel Perepetie und dem Monodram Erwartung opus 17 im Drama mit Musik Die glückliche Hand opus 18 *. Geblasene Signale erklingen in Alban

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* Vgl. Partitur Wien 1917. Takt 27-28 Trp., Hr.(F). Takt 83-84 Trp.(B)


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