- 33 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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widersprüchlich erscheinen, gehören der Analyse ihrer melodischen Intervallstruktur zufolge zusammen. Verschiedene Ebenen der kompositorischen Faktur können zum Zweck ihrer wechselseitigen Interpretation voneinander unterschieden werden. Rhythmus und Metrum stehen der Bewegungsbegleitung näher als die dem Satz zugrundeliegende Intervallstruktur. Letztere erscheint im Monodram Erwartung zwischen Takt 30 und 35 als eine an der rhythmisch-metrischen Oberfläche zum zweiten Mal geordnete, rhythmisierte Tiefenstruktur des Tonmaterials. Rhythmus- und Intervallstruktur können übereinstimmen wie beim Einsatz der zweiten und dritten Klarinetten in A und der Bratschen in Takt 30 oder der I. Solovioline in Takt 31, sie müssen es aber keineswegs und stehen in der Regel unverbunden "übereinander". Werden Rhythmus- und Intervallebene voneinander getrennt, so erscheint die Bedeutung der tiefenstrukturellen Einheit der an der rhythmisch-metrischen Oberfläche kontrastierenden Stimmengruppen.

     Die Ausgangsgestalt der Intervallfolge in der Singstimme in Takt 29, die ab Takt 30 die Intervallstruktur des gesamten Satzes durchdringt, erklingt zu den Worten "Ich allein..". Ihr Gestus ist der von Sehnsucht, Suche, Frage und Verzweiflung, von Zuwendung zum Bedrohlichen des Seins in einer scheinbar ausweglosen Lebenssituation. Sie wird als Angst aus verzweifelter Einsamkeit erlebt. Indem die Frau ihre Ängste für einen Moment bezwingt, um "Mut fassend, rasch in den Wald zu gehen", wird die Intervallfolge, die ihre Einsamkeit und Verzweiflung zum Ausdruck bringt, zum Gegenstand vielfältiger Variationstechniken wie der Umkehrung in der Zeitfolge, der Verschränkung, Spiegelung, Vergrößerung und Verkleinerung. Sie erinnern an die Techniken der Traumarbeit zur Entstellung der unbewußten Traumgedanken unter dem Einfluß der Traumzensur, die Sigmund Freud in der Traumdeutung beschrieb.

     Im selben Moment werden die Bewegungen der Frau unsicher und ziellos. Ihre Bewegungsempfindung wird ängstlich schwankend, die melodische Gestalt der Frage "Ich allein.." als eine sich selbst verborgene, ungewisse Empfindung von Angst aus Einsamkeit zur Tiefenstruktur der musikalischen Begleitung einer unsicher schwankenden Gehbewegung und taumelnden Körperempfindung.



2.3 Triebstruktur und Formtendenz, zur Bewegungsbegleitung


Theodor Wiesengrund Adorno und Hanns Eisler verfassen im amerikanischen Exil der vierziger Jahre die Schrift "Komposition für den Film". Sie behandelt das Verhältnis der Musik zur sichtbaren Bewegung. Grundlage und Ursprung des Films ist


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