- 34 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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die Fotografie der Bewegung. Alles nicht in "visuelle Bewegung" aufgelöste wirkt gegenüber dem immanenten Formgesetz des Films "heterogen und starr" (Adorno, "Kompostion für den Film" 76).

     Daß die Bilder sich bewegen, ist nur abgeleitet und vermittelt zu verstehen. Dem bewegten Bilde fehlen Eigenimpuls und Motivation; die Maschinerie des Films fordert unablässig Bewegung. Die Musik ersetzt Muskelenergie und Körpergefühl. Sie ist nicht mit den Empfindungen und Impulsen von Personen identisch, sondern verdinglicht sie und "verhält" sie zur Bewegung. Der verdinglichte Abdruck der Wirklichkeit erscheint durch sie spontan und bekundet scheinbar von sich aus Leben. Das Verhältnis der Musik zur sichtbaren Bewegung ist im tiefsten Moment der Einheit "antithetisch" (Adorno, "Komposition für den Film" 77).

     In Anlehnung an Bertolt Brechts dramaturgische Konzeption bezeichnet der Begriff "Montage" das kompositorische Verfahren der Vermittlung zwischen divergierenden Medien. Dem Zwang zu äußerer Bewegung wirkt eine bewußt vermittelte Verbindung von Musik und Bewegung entgegen. Musik und Bewegung stehen im Verhältnis von "Frage und Antwort, Position und Negation, Erscheinung und Wesen" (Adorno, "Komposition für den Film" 71). In der Montage treten sie mit Bewußtsein auseinander und fördern Fremdheit, Einsamkeit und Angst als Ursachen und Folgen von Gewalt zutage. Die Montage von Musik und Bild sagt durch Übersetzung der Divergenz der Medien in ästhetischen Ausdruck "die Wahrheit über eine sich selbst entfremdete Gesellschaft" (Adorno, "Komposition für den Film" 74).

     Im Kapitel "Bewegung gegen Ruhe" werten die Autoren Hanns Eislers Musik zum Film "Kuhle Wampe" aus dem Jahre 1931 nach dem Drehbuch von Bertolt Brecht als dramaturgischen Kontrapunkt (Adorno, "Komposition für den Film" 34). Unbeabsichtigt dokumentiert das Beispiel die Demagogik der Brechtschen Dramaturgie. Unter dem Eindruck der Massenszenerie der Arbeitersportverbände verblassen die Bilder des sozialen Elends, gegen das Eislers markante Rhythmen zu Recht angehen. Im Klischee der "Agitation" schnappen Musik- und Bild ineinander: Kampflieder im Gruppenrhythmus Rudernder, das Solidaritätslied schlägt den Takt zum Bildwechsel usw.

     Ein zweites Bild ("Ruhe gegen Bewegung") verdeutlicht die antithetische Vermittlung der Medien: "Dans les Rues 1933. Eine blutige organisierte Prügelei zwischen jungen Rowdies in einer Vorfrühlingslandschaft. Die Musik dazu zart, traurig, eher gläsern, Variationsform. Sie zeichnet den Gegensatz von Vorgang und Schauplatz nach, ohne auf die Handlung einzugehen. Die Zartheit der Musik distanziert von der Roheit des Vorgangs: die die Roheit begehen, sind selber Opfer", (Adorno, "Komposition für den Film" 74).


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