- 69 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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der Musik kann ein Abnehmen der Bewegung im Tanz entsprechen. Beide Bewegungen (positive und negative) erhalten "größeren inneren Wert". Die seelische Ableitung der musikalischen und szenischen Bewegung ist oberstes Gebot. Ein noch unbewußter seelischer Vorgang fließt in die musikalische Gestaltung ein und gibt den Impuls zur Bewegung. Drei Elemente dienen zu äußeren Mitteln im "inneren Werte":


1. musikalischer Ton und seine Bewegung,

2. körperlich - seelischer Klang und seine Bewegung durch Menschen und Gegenstände ausgedrückt,

3. farbiger Ton und seine Bewegung (eine spezielle Bühnenmöglichkeit).

(Kandinsky, "Über Bühnenkomposition" 206)



4.3 Zur Bühnenkomposition "Der gelbe Klang"


Die Komposition "Der gelbe Klang" könnte, Schönbergs Werken jener Zeit vergleichbar, als eine Verarbeitung von Traumerfahrungen aufgefaßt werden. Kandinskys Entwicklung zum Konstruktivismus der zwanziger Jahre steht um 1910 noch bevor. Sie zeichnet sich in der Schrift Über das Geistige in der Kunst ab und findet erst 1926 in Punkt und Linie zu Fläche ihren Höhepunkt.

     Denkbar wäre der Einfluß von Sigmund Freuds Traumdeutung. Erinnerungen an frühe Kindheitserlebnisse könnten in symbolischer Verkleidung in den gelben Riesen zum Ausdruck kommen, die dem Drama seinen Namen geben. Die Landschaftsschilderung zu Beginn des dritten Bildes wäre eine innere, seelische Landschaft. Die Folge der Bilder würde die Abfolge der Traumphasen nachzeichnen, das freie Spiel von Bühnenlandschaft und Licht den Angsttraum vorbereiten. Die grelle, angsterfüllte Stimme, die die Zuschauerperspektive am Ende des dritten Bildes in die Position außerhalb des Traums versetzt, wäre die Stimme des Schlafenden, der im Angsttraum Unverständliches stammelt.

     Ein unveröffentlichter Vortrag, den Thomas von Hartmann nach Kandinskys Tod in New York hält, zeigt indessen ein anderes Bild. Kandinsky und Hartmann wollen zunächst ein Märchen von Andersen inszenieren. Kandinsky entwirft die Skizze einer mittelalterlichen Stadt. In diese Zeit fällt Kandinskys Zusammentreffen mit Alexander Sacharoff. Durch ihn kommen Kandinsky und Hartmann mit dem altgriechischen Tanz in Berührung, den Sacharoff in Museen studiert. Von Andersens Märchen gelangen sie zur griechischen Erzählung von "Daphnis und Chloe". Kandinsky entwirft das erste Bühnenbild: "... eine wundervolle Trireme mit Kriegern. Es war kein realistisches Bild, aber es vermittelte einen erstaunlich starken Eindruck von Daphnis'


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