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EINLEITUNG


In seiner Schrift Wahrheit und Methode, Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (1975) beschreibt Hans Georg Gadamer das Wesen der hermeneutischen Erfahrung in Anlehnung an Hegels Geschichtsphilosophie und in Abgrenzung gegenüber dem induktiven Verfahren in den Naturwissenschaften als einen Vorgang des wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins. Erklärtes Ziel der empirischen Verfahren in den Naturwissenschaften ist die Objektivierung der Erfahrung. Ihr soll kein geschichtliches Moment anhaften. Dazu dient das naturwissenschaftliche Experiment. Vergleichbares leistet das historisch-kritische Verfahren in den Geisteswissenschaften. Beide Methoden verbürgen Objektivität und sichern, daß die einer Erkenntnis zugrundeliegende Erfahrung von jedermann und zu jedem Zeitpunkt wiederholt und bestätigt werden kann. Der Erkenntnisgewinn wird kontrollierbar. Für den geschichtlichen Wandel menschlicher Lebenszusammenhänge ist innerhalb der exakten Wissenschaften indessen kein Raum. Von jenen alltäglichen Erfahrungen, die man "macht", unterscheiden sich die objektiven Erfahrungen, indem sie von vornherein auf den möglichen Erkenntnisgewinn angelegt sind.

     Gadamer möchte die hermeneutische Erfahrung als Alltagserfahrung für die Geisteswissenschaften legitimieren. Ohne allen Pessimismus und ohne Schwarzfärberei ist sie ihrem Wesen nach als negative Erfahrung zu bezeichnen. Sie führt nicht, wie die erkenntnistheoretisch geleitete Erfahrung zur "Herausbildung typischer Allgemeinheiten" (Gadamer, Wahrheit und Methode 335). Ihre Eigenart besteht umgekehrt darin, die Verallgemeinerung zu widerlegen und das Unverwechselbare und Einmalige hervorzuheben. Der bisher in seiner Eigenart verkannte "Gegenstand" alltäglicher Erfahrung soll neu und anders beurteilt werden.


In der Tat ist, wie wir sahen, Erfahrung zunächst immer Erfahrung der Nichtigkeit: es ist nicht so, wie wir annahmen. Angesichts der Erfahrung, die man an einem anderen Gegenstand macht, ändert sich beides, unser Wissen und sein Gegenstand. Man weiß es nun anders und besser, und d. h.: der Gegenstand selbst "hält nicht aus". Der neue Gegenstand enthält die Wahrheit über den alten.

(Gadamer, Wahrheit und Methode 337)


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