- 75 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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Wiederkehr der Geraubten. Es war jene Wiederkehr, die in Eleusius mit der Verkündigung einer Geburt im Tode gefeiert wurde: als ein sich immer wiederholendes, unerschöpflich lebenspendendes, in dieser Unerschöpflichkeit auch den Reichtum, den Plutos selbst auf die Welt bringendes, göttliches Ereignis. Mädchenraub als Hochzeit und Tod einerseits, Tod und Geburt als innerlich zusammenhängende Geschehnisse andererseits sind mit der Gestalt der Persephone verbunden.

(Kerenyi, "Labyrinth-Studien" 231)


Seltsame Zusammenhänge verbinden Persephone mit dem Monde, mit dem Getreide und mit dem Opfertier, im besonderen mit dem Schweine, dem Opfertier ihrer Mutter Demeter. Das ceramesische Mondmädchen Rabie steht in der indonesischen Mythologie im gleichen thematischen Zusammenhang:


Rabie ist der Name des Mondes. Das Mädchen Rabie wird durch den Sonnenmann geraubt. Als Braut wird sie durch ein getötetes Schwein vertreten (...). Unter dem Namen Hainuwele ist sie der verkörperte Reichtum auf Erden, und als sie getötet wird, entstehen aus ihrem Leibe die Knollenfrüchte. Der Mord, der an ihr begangen wird, hat noch eine andere Folge: ihre Mörder, die Urmenschen, werden erst dadurch zu normalen Lebewesen, daß sie von nun an auch sterben müssen. Seitdem durch jenen ersten Mord der Tod auf die Welt kam, ist das Leben da. Das Leben, zu dessen Idee das Sterben gehört, entsteht aus dem Schicksal des Mondes, der Nahrungspflanze und des Nahrungstieres, die alle verschwinden und immer wieder da sind. Oder dasselbe in einer menschlichen Gestalt ausgedrückt: aus dem Schicksal des Urmädchens, das - geraubt oder ermordet - gebiert und Nahrung spendet.

(Kerényi, "Labyrinth-Studien" 231)


In den Urmädchen erscheint das ewige Lebe- und Sterbewesen, dessen Schicksal göttliches Vorbild des irdischen Lebens ist. Die Idee des Todes als Grundlage des Lebens bildet einen Mythenkreis, für den das Rabie-Hainuwele-Mythologem ein besonders lehrreiches Beispiel gibt. Im ceramesischen Kult wird der Mädchenraub anstelle der griechisch religiös-pantomimischen Nachbildungen als ein Tanz in der choreographischen Grundfigur der Spirallinie aufgeführt.

     Bei Kerényi finden wir die dem kultischen Tanz zugrundeliegende mythologische Vorstellung: Der Mord an Hainuwele geschieht in einem Urtanz. Neun Familien tanzen in aufeinderfolgenden Nächten eine neunfache Spirallinie. Das Pflanzenmädchen Hainuwele ist der unbewegte Mittelpunkt. Sie verteilt Sirih und Pinang, Blatt und Nuß zweier Pflanzenarten, zum Kauen an die Tanzenden. Statt Sirih verschenkt Hainuwele in einer Nacht Korallen. Der Wert der Geschenke nimmt in den folgenden Nächten zu: Porzellanteller, Buschmesser, Sirih-Dosen aus Kupfer, goldene Ohrringe und kleine Gongs. Hainuwele weckt den Neid der Familien. Sie beschließen, das


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