- 138 -Probst-Effah, Gisela (Hrsg.): Musikalische Volkskultur und elektronische Medien 
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wie z. B. jugendlich frische, moderne Varianten des überregional bekannten Glückauf oder des Vugelbeerbaamliedes (1887) eines 14-jährigen Solisten bei den Jugendkulturtagen 2006 des Erzgebirgsvereins – basieren auf tradierten Mustern der Mundartpflege als einer laienspezifischen Vereins- und Bühnenkunst, die seit jeher den Medienzugang begünstigte. Auch die Mundartpflege reflektiert in Wahrnehmung der mit der Globalisierung einhergehenden unumkehrbaren alltagssprachlichen Veränderungen verstärkt traditionelle wie aktualisierte Identifikationsprozesse vor Ort. Neben ihrem Anspruch, Erinnerungskultur sowie alltagskritische »Gegenkultur« zu sein, bedarf die Mundartpflege, um wirksam zu sein, der Modernität einer kommerzialisierten Medienwelt. Die Medien, die einerseits den Rückzug der Dialekte aus der öffentlichen Kommunikation forcierten, tragen andererseits zu ihrer Bewahrung bei.

Es ist das doppelte Glück des Lebens in der Provinz, dass die Kraft, die die Heimeligkeit verlogen macht, immer wieder stark genug ist, die Verlogenheit heimelig zu machen
(Cybinski 1992, S. 22).

1. Erzgebirgisches Mundartlied im gesellschaftlichen Fokus

Im Mittelpunkt meiner Ausführungen steht das erzgebirgische Mundartlied. Sein sentimentales Heimatbekenntnis, musikalisch ausgedrückt in schlichten instrumental begleiteten ein- bis mehrstimmigen Gesängen, war dazu geeignet, die am Heimatgedanken des 1878 gegründeten Erzgebirgsvereins e. V. ausgerichtete touristische Erschließung des Erzgebirges zu unterstützen und den mit der Industriemoderne aufkommenden Werteverlusten und »Vermissungserlebnissen« (Lipp 1990, S. 161) eine andersartige Erfahrungs- und Gefühlswelt entgegenzusetzen. Auch das Engagement Laienschaffender für die Erhaltung und Aktualisierung regionalen Liedguts war Teil einer Gegenkultur zu der Kulturindustrie »übersättigter Großstädte« (Groß 2001, S. 26). Gegenläufig zur wirtschaftsorientierten »Massenkultur« erfolgte eine allgemeine Aufwertung alltagskultureller »Banalität« und volkskultureller Elemente (Tanner 2004, S. 6). Als »Heimatlied« stand das erzgebirgische Mundartlied im Einklang mit den kulturellen Leitbildern eines Bildungsbürgertums, das die späterhin durchorganisierte und politisierte deutsche Heimatbewegung (1871–1945), in die auch die Lehrerschaft stark involviert war, ausgelöst hatte.

Es folgten eine neoromantische Idealisierung der Vergangenheit und die Propagierung eines unkritischen Heimat- und Volkstumsstolzes in der Weimarer Republik, die im Nationalsozialismus als politisch-kultureller Regionalismus ihre Fortführung fanden (Ditt 1990). Angesichts solcher Ideologisierungen blieb der althergebrachte Heimatbegriff in der DDR z. T. bis in die 1960er Jahre negativ besetzt.

So regte z. B. der Gymnasial-Professor Karl Reuschel (1872–1924) in der ihm vom Verband Deutscher Vereine für Volkskunde 1913 übertragenen Verantwortung in Sachsen 1914 einen Sächsischen Ausschuss zum Sammeln deutscher Volkslieder an. Volkslied-Publikationen4

Vgl. Förster 1930; John 1909; Müller 1883; Rösch 1887; Schneider 1925; Uhlig 1913.-->

4   Vgl. Förster 1930; John 1909; Müller 1883; Rösch 1887; Schneider 1925; Uhlig 1913.

berücksichtigten zunehmend tradiertes regionales

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