- 206 -Probst-Effah, Gisela (Hrsg.): Musikalische Volkskultur und elektronische Medien 
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auf deutsche Städte über Radiodurchsagen erfolgten, so dass die Bevölkerung – und eben auch meine Eltern – quasi gezwungen waren, die Geräte ständig eingeschaltet zu halten.

Einen erheblichen zusätzlichen Popularisierungs-Effekt erreichte die von 1939 bis 1944 allsonntäglich zwischen 16 und 20 Uhr über den monopolisierten Rundfunk in den meisten deutschen Familien immer wieder mitgehörte Sendung Wunschkonzert. Deren schon bald unvergleichlich hohe Einschaltquote erwuchs auch daraus, dass zwischen ihr aus populärer Klassik, Soldatenliedern, Marschmusik und viel »leichter Muse« gemixtes und damit breiteste Kreise ansprechendes Musikprogramm immer wieder – meist von prominenten Schauspielern verlesene – Grüße einzelner Soldaten von der Front in die Heimat oder Botschaften von Zuhause an die Front eingestreut wurden – beides zumal zu besonderen Anlässen wie: Geburt eines Kindes; runder Geburtstag; Genesung von Kriegsverwundung; Kriegsauszeichnung u. ä. Das schuf eine so persönliche Verbindung zwischen Soldaten an der Front und ihren Angehörigen zu Hause, dass dies kaum jemand verpassen wollte.

Aber die durch diese Sendungen wie auch durch andere vergleichbar erfolgreiche Sendefolgen noch enorm gesteigerte musikalische Normierung hatte eben auch noch einen anderen Aspekt: Sie bot – trotz der in jenem Medium Rundfunk zugleich allgegenwärtigen politischen Propaganda und trotz der im Grunde ja jeden bedrohenden ständigen Observierung seitens der Gestapo: des NS-Geheimdienstes – Gegnern des Regimes eine politische Chance: Gerade die so erwirkte Popularität einzelner Schlager schuf ja zugleich die günstige Voraussetzung dafür, solche »Medienhits« durch das Mittel der Parodierung als Kampfinstrument gegen die Mächtigen zu verwenden: ein vielgenutztes Ventil, dessen Auswirkungen dem Regime – wie unsere Quellen ebenfalls erwiesen – natürlich nicht verborgen blieben, weshalb es Äußerungen dieser Art höchst argwöhnisch beobachtete und ggf. unnachsichtig verfolgte.

Geschaffen und gesungen wurden solche Parodien in fast allen Regionen Deutschlands und der eroberten Länder, und zwar hierzulande im familiären, im illegal politischen und im kirchlichen Umfeld, in verbotenen Jugendbünden und selbst beim Militär und im Arbeitsdienst. Sänger waren Einzelpersonen wie auch im Untergrund noch aktive face to face groups, manchmal größere Gruppierungen, in besonderen Situationen sogar große Menschenansammlungen, wobei selbst diese trotz ihres ja eigentlich gebotenen Anonymitätsschutzes für manche der Beteiligten eine Verhaftung mit ihren folgenschweren Konsequenzen nicht verhindern konnten.10

10   Zahlreiche Belege finden sich u. a. in der in Anm. 1 aufgelisteten Literatur.

Der Themenstellung der Tagung folgend, soll nun als Beleg gesungener Regimekritik durch Medienhits zumindest eine knappe Auswahl exemplarischer Fallbeispiele solcher NS- und Kriegs-kritischer Parodierungen beliebter Titel – zumeist ihrer Refrains – aufgezeigt werden: einerseits als Belege für Ausprägungen und Anlässe von Kritikäußerungen gegen das NS-Regime und den Krieg, andererseits zur Erhellung des Einflusses der elektronischen Medien auf das Singrepertoire jener Zeit überhaupt wie auch auf die Ausbreitung jener speziellen regimekritischen Musikalischen Volkskultur jener Epoche.


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