Einleitende BetrachtungenMusikalische KlangvorstellungIn der Literatur finden sich neben zahlreichen bekannten Anekdoten über außergewöhnliche musikalische Gedächtnisleistungen, wie z. B. von Wolfgang Amadeus Mozart1
[…] the most perfect instrument in the world is the composer’s mind. Every conceivable tone-quality and beauty of nuance, every harmony and disharmony, or any number of simultaneous melodies can be heard at will by the trained composer; he can hear not only the sound of any instrument or combination of instruments, but also an almost infinite number of sounds which cannot as yet be produced on any instrument (Cowell 1926, S. 234). Er behauptete auch, dass seine musikalischen Vorstellungen so reichhaltig und schön seien, dass er sie tatsächlichen Aufführungen vorzöge, die nach seiner Ansicht kaum jemals ein Zehntel der musikalischen Idee eines Komponisten erreichten (vgl. ebenda, S. 236). Auch wenn nach Wellek Aussagen aus Musikerkreisen zur »Genauigkeit, sinnlichen Frische und Treue der Tonvorstellung« eher skeptisch zu beurteilen sind (1932, S. 161) wäre es Ludwig van Beethoven, Robert Franz und Bedřich Smetana ohne diese Fähigkeiten mit zunehmender Ertaubung sicherlich nicht möglich gewesen, auf solch hohem Niveau weiter zu komponieren und zu orchestrieren. Godøy und Jørgensen definieren musikalische Klangvorstellung (musical imagery) folgendermaßen: […] our mental capacity for imagining musical sound in the absence of a directly audible sound source, meaning that we can recall and re-experience or even invent new musical sound through our ›inner ear‹ (Godøy & Jørgensen 2001, S. IX). Diese Definition bezieht sich somit auch auf die eigentliche Musikwahrnehmung, da diese sowohl ein antizipierendes Voraushören musikalischer Strukturen als auch ein im-Gedächtnis-behalten bereits verklungener Elemente beinhaltet.3
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