- 1 -Schmidt, Patrick L.: Interne Repräsentation musikalischer Strukturen 
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Einleitende Betrachtungen

Musikalische Klangvorstellung

In der Literatur finden sich neben zahlreichen bekannten Anekdoten über außergewöhnliche musikalische Gedächtnisleistungen, wie z. B. von Wolfgang Amadeus Mozart1

1 Mozart wird z. B. dafür gerühmt, das Miserere für zwei Chöre zu neun Stimmen von Gregorio Allegri (1582–1652) nach zweimaligem Hören fast fehlerfrei aus dem Gedächtnis niedergeschrieben zu haben (vgl. Brief von Leopold Mozart vom 14. April 1770 in Bauer & Deutsch 1963).

oder Felix Mendelssohn-Bartholdy2
2 Mendelssohn-Bartholdy soll, nachdem er die einzige Kopie seines Sommernachtstraums in einer Londoner Kutsche liegengelassen hatte, die gesamte Orchesterpartitur zuhause komplett rekonstruiert haben (vgl. Critchley & Henson 1977).

bei vielen Musikern Hinweise, die auf eine sehr ausgeprägte musikalische Klangvorstellung schließen lassen. Der amerikanische Komponist Henry Dixon Cowell beschrieb seine diesbezüglichen Fähigkeiten einmal sehr plastisch:

[…] the most perfect instrument in the world is the composer’s mind. Every conceivable tone-quality and beauty of nuance, every harmony and disharmony, or any number of simultaneous melodies can be heard at will by the trained composer; he can hear not only the sound of any instrument or combination of instruments, but also an almost infinite number of sounds which cannot as yet be produced on any instrument (Cowell 1926, S. 234).

Er behauptete auch, dass seine musikalischen Vorstellungen so reichhaltig und schön seien, dass er sie tatsächlichen Aufführungen vorzöge, die nach seiner Ansicht kaum jemals ein Zehntel der musikalischen Idee eines Komponisten erreichten (vgl. ebenda, S. 236). Auch wenn nach Wellek Aussagen aus Musikerkreisen zur »Genauigkeit, sinnlichen Frische und Treue der Tonvorstellung« eher skeptisch zu beurteilen sind (1932, S. 161) wäre es Ludwig van Beethoven, Robert Franz und Bedřich Smetana ohne diese Fähigkeiten mit zunehmender Ertaubung sicherlich nicht möglich gewesen, auf solch hohem Niveau weiter zu komponieren und zu orchestrieren.

Godøy und Jørgensen definieren musikalische Klangvorstellung (musical imagery) folgendermaßen:

[…] our mental capacity for imagining musical sound in the absence of a directly audible sound source, meaning that we can recall and re-experience or even invent new musical sound through our ›inner ear‹ (Godøy & Jørgensen 2001, S. IX).

Diese Definition bezieht sich somit auch auf die eigentliche Musikwahrnehmung, da diese sowohl ein antizipierendes Voraushören musikalischer Strukturen als auch ein im-Gedächtnis-behalten bereits verklungener Elemente beinhaltet.3

3 Mit musikalischem Klang sind hier sowohl die Klangfarbe, als auch einzelne Töne (Grundtöne mit oder ohne Obertonanteile) sowie Gebilde aus mehreren gleichzeitig erklingenden Tönen gemeint.


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