Vielleicht wäre eine Gruppeneinteilung nach der Fähigkeit akustisch dargebotene Töne
nachzusingen, sinnvoller. Dies würde ermöglichen, die Hypothese zu prüfen, ob »schlechte
Nachsänger« (»Brummer«) auch schlechte Leistungen in musikalischen Gedächtnistests
zeigen und ob diese – wie zu erwarten – besonders von einem Singtraining profitieren.
Dies könnte als weiterer Beleg für die Richtigkeit der Annahme gedeutet werden,
dass äußere und verdeckte Singbewegungen die musikalische Klangvorstellung
unterstützen.
Abgesehen von den bereits vorgeschlagenen zukünftigen Forschungsprojekten zur
Untersuchung der Bedeutung motorischer Prozesse im Stimmapparat sei noch die empirische
Prüfung folgender exemplarischer Fragen angeregt:
-
1.
- Gibt es einen (direkten) Zusammenhang zwischen vorgestellter Tonhöhe und der
elektromyographischen Aktivität in den an der Hebung und Senkung des Kehlkopfes
beteiligten spezifischen Muskeln?
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2.
- Gibt es
einen (direkten) Zusammenhang zwischen der Vorstellung von Rhythmen/Metren und
der elektromyographischen Aktivität in den Kehlkopfmuskeln?
-
3.
- Gibt
es einen (direkten) Zusammenhang zwischen der Komplexität der Vorstellungsinhalte
(z. B. Melodievergleiche oder Bestimmung von Intervallen) und der Kehlkopfaktivität?
-
4.
- Sind auch beim Vorstellen von Umweltgeräuschen oder der Klangfarbe eines
Instrumentes Kehlkopfbewegungen nachzuweisen?
-
5.
- Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem zeitlichen Auftreten von Vorstellungen und
Kehlkopfbewegungen?
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6.
- Sind bei Klangvorstellungen auch unspezifische – nicht an der Stimmgebung oder an
der Klangerzeugung auf einem Instrument beteiligte – Muskeln aktiv?
Es bleiben zwangsläufig mehr Fragen offen als durch diese Dissertation gelöst werden
konnten. Die Ergebnisse deuten jedoch daraufhin, dass musikalische Klangvorstellung dem
Wesen nach kein rein »geistiger« bzw. nur auf mysteriösen zentralistischen Vorgängen im
Gehirn bzw. in einer »Black Box« basierender Prozess ist, wie es dieser Begriff und andere
weit verbreitete sprachliche Formulierungen (z. B.: »Inneres/mentales Hören«, »Im
Geiste hören/sehen«; »Inneres Ohr«) oder auch Buchtitel, wie z. B. »Musik im
Kopf« (Spitzer 2002) oder »Das wohltemperierte Gehirn: Wie Musik im Kopf entsteht und
wirkt« (Jourdain 1998) sowie zahlreiche musikbezogene Untersuchungen der Gehirnaktivität
u. a. mittels funktioneller bildgebender Verfahren nahe legen. Eine solche Vorstellung
(musikalischer) Imagination setzt zum Einen eine Art »Projektionsfläche«, zum Anderen die
physische Speicherung analoger Wahrnehmungsinhalte sowie eine übergeordnete
Instanz für den willentlichen Abruf und die Bewertung von Vorstellungsinhalten im
Gehirn voraus. Diese Annahmen können aber nicht als endgültig belegt angesehen
werden.
Denkbar wäre, dass das Gehirn weniger als Entstehungsort höherer »geistiger« Fähigkeiten,
wie musikalische Klangvorstellung oder sogar als »Denkorgan« zu betrachten ist, sondern
vielmehr als komplexe »Schaltzentrale« dient, in der die Informationen aller Sinnesorgane
zusammen laufen, aufgrund individueller Lebenserfahrungen miteinander verknüpft werden
und sich gegenseitig beeinflussen.
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