- 29 -Schmidt, Patrick L.: Interne Repräsentation musikalischer Strukturen 
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(1948, 1949, 1950) Hinweise darauf, dass die von Schizophrenen bei akustischen Halluzinationen »wahrgenommenen« Stimmen durch die unbewusste verdeckte Aktivität des eigenen Stimmapparates des Halluzinierenden zustande kommen könnten. Die Aktivität der Sprechmuskulatur war bei sprachlichen Halluzinationen schizophrener Patienten mitunter so intensiv, dass dabei in Erscheinung tretende Lautäußerungen mit Hilfe eines Stethoskops oder eines empfindlichen Mikrophons gehört werden konnten. Ralph F. Hefferline und Thomas B. Pereras (1963) sowie Frank J. McGuigan (1973) zeigten experimentell, dass unbewusstes verdecktes Sprechen und die daraus resultierende propriozeptive Aktivität auch bei Gesunden interne Stimmen bzw. auditive Halluzinationen oder Klangvorstellungen generieren kann.

Nach einer Theorie von Salomon S. Stricker (1880; 1885) existiert eine auditive Repräsentation eines Sprachklangs nur in dem Maße, in dem wir die diesem Klang entsprechenden motorischen Impulse empfinden. Demnach kommt z. B. erst in dem Moment eine klangliche Vorstellung des Konsonanten »P« zustande, in dem sich der entsprechende motorische Impuls auswirkt. Wollen wir diese Repräsentation länger aufrechterhalten, ist es nach Stricker notwendig, diesen Impuls beständig zu erneuern. Er sah seine Theorie auch auf musikalische Repräsentationen anwendbar (vgl. 1885, S. 2, 165ff.). In der musikpsychologischen Literatur finden sich weitere Theorien zur Notwendigkeit eines inneren Singens für die musikalische Klangvorstellung. In einer von Marie Agnew (1922) durchgeführten Befragung unter Musikern und Psychologen zur musikalischen Klangvorstellung wiesen vor allem die Psychologen in freien Texten auf eine dominante Rolle motorischer Prozesse hin. Den Aussagen der Probanden zufolge waren ihre musikalischen Repräsentationen abhängig von motorischen Prozessen im Stimmapparat. Zur Veranschaulichung sollen einige ausgewählte Auszüge aus den introspektiven Berichten dienen:

»I am predominantly of the motor type. If kinaesthesis is inhibited, I totally lack auditory imagery.« »I doubt if I hear the imaginary music at all when I don’t hum or keep time with my breathing or other muscular movements.« »My musical imagery is vocal. I do not have auditory imagery at all.« »The tones seem to be represented by a sort of kinaesthetic image. The higher tones by a sort of tensing of muscles of neck and cheeks.« »I can get a clear image of the tone of any instrument or voice, only when I aid my imagination by actual movements of the vocal chords.« »Never quite certain that the clearness of the auditory image is not in part due to voco-motor re-enforcement.« (nach Agnew 1922, S. 274ff.).

Ähnlich lautende Thesen zur Bedeutung musikalischer Klangvorstellung wurden auch von James Mainwaring (1933, z. B. S. 291, 297) geäußert.

Diese Introspektionen enthalten neben Theorien zur Abhängigkeit der Klangvorstellung von der Muskulatur des Stimmapparates auch Gedanken zur Kodierung der Tonhöhe durch kinästhetische Information, auf die im nächsten Kapitel eingegangen wird. Als weitere denkbare Funktionen motorischer Prozesse wurden hier Aspekte der Verbesserung der Qualität (Lebhaftigkeit, Deutlichkeit) der Klangvorstellung bzw. deren Verstärkung genannt. Hugo Münsterberg (1900), Flow Margaret Washburn (1914) und B. M. Teplov (1966) sahen ebenfalls einen positiven Zusammenhang zwischen der Lebendigkeit/Deutlichkeit der Vorstellungs- bzw. Bewusstseinsinhalte und der Stärke motorischer Erregung.


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