- 112 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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Zur Aufführungspraxis

Wilhem Ehmann10 widmete im Bachjahr 1950 der Aufführungspraxis Bachscher Motetten eine sehr eingehende Abhandlung. Es geht ihm darum, neben dem heute vorherrschenden a capella-Singen - aus romantischer Singtradition kommend - die instrumental gestützte Kantorei-Praxis Bachscher Prägung als ein ebenbürtiges, anderes und anders begründetes Klangbild hinzustellen. Es ist historisch belegt, wie Bach im Sinn des Generalbaß-Zeitalters bei Motetten die Baßführung durch das Motetten-Cembalo in der Kirche akkordisch stützen ließ und außerdem ein Cello oder sonst ein Baßinstrument mitgehen ließ, wie er die Motette: "Der Geist hilft unserer Schwachheit auf" durch Streicher und Holzbläser chörig instrumentierte. Ehmann charakterisiert eingehend den Gebrauch der Instrumente als festliche Überhöhung und Überglänzung, als Ersatz fehlender Stimmen, als Verstärkung des c.f. Gerüstes, als Träger des Klanggegensatzes in der Mehrchörigkeit, als Möglichkeit der Symbolisierung, als Intensivierung des Klangwillens. Er fügt eine Deutung hinzu, wie mit dem Wandel der Tonqualität sich auch die Geistigkeit wandelt.

Im Memorial Bachs vom 23. August 1730 heißt es: "In jedweden musikalischen Chor gehören wenigstens drei Sopranisten, drei Altisten, drei Tenoristen, und ebensoviel Bassisten, damit, so etwa einer unpaß wird, (wie denn sehr offte geschieht, und besonders bei itziger Jahreszeit, da die Recepte, so von dem Schul Medico in die Apotheke verschrieben werden, es ausweisen müssen) wenigstens eine zweichörige Motette gesungen werden kann. (N.B. wie wohle es noch besser, wenn der Choetus so beschaffen wäre, daß man zu jeder Stimme vier Subjekte nehmen, und also jeden Chor mit sechzehn Personen bestellen könnte.)"

Bachs Dokument über die Stärke der Chorgruppe und Ehmanns Untersuchung über die Aufführungspraxis beeinflussen aufs stärkste den gegenwärtigen Aufführungsstil der Motetten Joh. Seb. Bachs.

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