- 2 -Weyde, Tillman: Lern- und wissensbasierte Analyse von Rhythmen 
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welche Motive des Originals sich in der Variation wiederfinden und wie diese sich aufeinander beziehen.

Gerade diese motivische Struktur, also das Erfassen von Motiven als musikalische Sinneinheiten und deren Beziehungen zueinander, ist wesentlich für das Verstehen von Musik. So war bereits Hugo Riemann der Auffassung, daß

»von der Erkennung der vom Komponisten gemeinten Motivbegrenzungen in erster Linie das wirkliche Verstehen einer Melodie abhängt.«2

2 Riemann (1903, S. 15).

Während sich die Theorien der Melodik weitgehend auf Tonhöhen konzentrieren, ist die zeitliche Anordnung und damit der Rhythmus für viele musikalische Phänomene entscheidend. So entstehen durch das bloße Spiel von Rhythmen auf einer Trommel bereits musikalische Strukturen mit rhythmischen Motiven. Für Cooper und Meyer stellt die motivische Struktur sogar das wesentliche Element der Rhythmik dar:

»To experience rhythm is to group separate sounds into structured patterns.«3

Obwohl die zentrale Bedeutung der Rhythmik und Motivik für die Musik allgemein anerkannt ist, haben sich dennoch nur wenige Theoretiker intensiver mit der Rhythmik im allgemeinen und der rhythmischen Motivstruktur im besonderen beschäftigt. Eine kohärente allgemein akzeptierte Theorie wurde bis heute nicht entwickelt.

Der eklatante Mangel an musiktheoretischen Modellen und Methoden zur Rhythmik und besonders der rhythmischen Motivik hat möglicherweise seine Ursache darin, daß das Erkennen und Verstehen von Rhythmen weitgehend unbewußt stattfindet. Im Gegensatz zur Harmonik, die als schwieriges Gebiet der musikalischen Theorie gilt, wird die Rhythmik als eine handwerkliche Disziplin angesehen. Ihre Behandlung geht in den einführenden Werken zur Musiktheorie kaum über die Darstellung von Notenwerten und Taktarten hinaus. So nimmt beispielsweise in Hermann Grabners ›Allgemeiner Musiklehre‹4

der Abschnitt »Tempo, Metrik, Rhythmik« gerade 15 von 373 Seiten ein. Diese Beschränkung ist für die Ausbildung ausführender Musiker auch sinnvoll, da die Rhythmik den meisten Musikern keine intellektuellen sondern praktische Probleme bereitet. Möglicherweise sind rhythmische Theorien auch deshalb auf wenig Akzeptanz gestoßen, weil ihre Entwicklung nur geringe Erfolge zeigte. Während die Harmonielehre im neunzehnten Jahrhundert vor allem von Hugo Riemann zu einem zumindest teilweise konsistenten praktisch anwendbaren System ausgebaut wurde, gelang dies bei der Rhythmik kaum.

In der Musikpsychologie war und ist das Interesse an Phänomenen der Rhythmik größer als in der Musiktheorie. Schon zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts begannen Bolton und Wundt die Untersuchung grundlegender Mechanismen der Wahrnehmung, die nach wie vor Gegenstand musikpsychologischer Forschung sind.5

Während in der Musiktheorie Modelle vorherrschen, die dem Musiker, Komponisten

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