- 28 -Weyde, Tillman: Lern- und wissensbasierte Analyse von Rhythmen 
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bewirkt hier eine unnötige Enge der Begriffsbildung, die der allgemeinen Praxis widerspricht. Eine Erkennbarkeit von rhythmischen Motiven in metrisch offener Musik, wie Rezitativen oder gregorianischen Chorälen, ist unbestritten, aber Riemanns System erlaubt nicht, sie sinnvoll zu beschreiben.

2.4.3.  Schenkersche Analyse

Eine Form der Musikanalyse, für die die Formalisierung besonders naheliegend erscheint, ist die sog. Reduktionsanalyse nach Heinrich Schenker. Die Schenkersche Analyse ist im angloamerikanischen Raum weit verbreitet. Sie ist auch häufig als Grundlage computergestützter Analyse verwendet worden. Diese Form der Analyse beschreibt ein Musikstück durch die Reduktion auf einen sogenannten Ursatz.64

Der Ursatz ist eine zweistimmige Folge von Tönen, eine einfache Kadenz, auf die sich ein Stück in zwei Schritten zurückführen läßt. Die komponierte Musik stellt den Vordergrund dar, der im ersten Schritt auf den Mittelgrund zurückgeführt wird, einer bereits stark reduzierten Darstellung. Dieser wird dann auf den Hintergrund, den Ursatz zurückgeführt. D.h. es wird in wichtige und weniger wichtige Töne eingeteilt, deren Bestimmung wesentlich nach tonlicher Nähe und metrischer Position unter Bevorzugung der Außenstimmen und durch harmonisches Wissen erfolgt. Das Ergebnis der Reduktion ist im Mittelgrund und Hintergrund eine Beschreibung der Beziehung zentraler Töne. Dabei beschäftigt Schenker sich weniger mit der horizontalen Aufteilung in Motive als mit der Verbindung strukturell wichtiger Noten in Bereichen, die häufig relativ groß sind und mehrere Takte bis hin zu einem ganzen Werk umfassen können.

Rhythmische Aspekte gehen in die Analyse kaum ein, die Tonhöhe und der harmonische Zusammenhang stehen im Mittelpunkt, für Schenker ist die »Rhythmik an die Kontrapunkte gebunden«65

65 Schenker (1935, S. 189).

. Die Schenkersche Analyse ist daher keine echte Hierarchisierung, die eine Baumstruktur definiert und jede Note einem Motiv und dieses wieder einer Phrase zuordnet, sondern eher eine Beschreibung melodisch-harmonischer Zentren und stellt insofern einen Gegenpol zu Riemanns System dar. Schenker grenzt sich deutlich von Riemanns Theorie ab und plädiert für eine flexible Sicht metrisch-rhythmischer Verhältnisse: »Alle Lehren der Metrik gehen somit fehl, wenn sie [...] im einmal aufgestellten metrischen Schema forttrotten.«66

66 Schenker (1935, S. 192).

2.5.  Definitionen grundlegender Begriffe

Die Begriffsbildung in der Musikwissenschaft ist in den meisten Fällen stark subjektiv geprägt und selbst Gegenstand der Veränderung und Interpretation. Eine objektive Begriffsbildung und eine geeignete Repräsentation des Gegenstandes sind aber Voraussetzung für ein implementierbares Modell musikalischer Strukturen. Da die im vorigen Abschnitt angesprochenen Konzepte grundlegend für die weiteren Teile dieser Arbeit sind, werden hier zunächst einige Grundbegriffe, die in dieser


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