- 59 -Weyde, Tillman: Lern- und wissensbasierte Analyse von Rhythmen 
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Musik unterscheidet sich von Sprache durch die Prinzipien der Strukturierung. Während in der Sprache Semantik und grammatische Organisation wesentlich für die Strukturierung sind, sind es in der Musik Eigenschaften wie Ähnlichkeit und zeitliche Regelmäßigkeit. Die Semantik und grammatische Eigenschaften von Worten werden erst durch Kenntnis einer Sprache zugänglich und sind relativ unabhängig vom Klang oder Schriftbild eines Wortes. In der Musik sind es die Eigenschaften der Motive, die stärker von der Struktur der Noten selbst abhängen. Wiederholungen von Wörtern oder Satzteilen sind i.a. nicht notwendig, sondern ihre Grammatik und Semantik reichen aus, um eine klare Strukturierung zu bewirken. In der Musik sind dagegen Wiederholungen oder Variationen notwendig, um eine Struktur erkennbar zu machen. Diese Ähnlichkeitsbeziehungen sind bestimmend für die wahrgenommene Struktur von Musik.

Im allgemeinen erwartet man daher von Musik, daß ihre Strukturen auch ohne Bezug auf außermusikalische Inhalte erkennbar sind. Musik enthält zwar häufig Bezüge oder Strukturen, die ohne spezielle Vorkenntnisse nur schwer zu erkennen sind, wie etwa in der Bachschen Zahlensymbolik oder in der barocken Affektenlehre. In der Mehrzahl aller Kompositionen gibt es aber auch Strukturen, die ohne diese Vorkenntnisse zugänglich sind, da sie nicht in dem Maße vorausgesetzt werden können wie die Kenntnisse der Semantik einer Sprache bei Muttersprachlern. Musik kann zwar Bedeutung haben, diese ist aber weit weniger eindeutig, als in der Sprache.

Die Kenntnis bestimmter Regeln, entsprechend der sprachlichen Grammatik, wird dagegen häufig vorausgesetzt und ist bei vielen Stilen von Musik notwendig, um überhaupt Strukturen erkennen zu können. Dies gilt insbesondere für die Harmonik.

Eine Grammatik der Musik zu definieren, war bereits Helmholtz’ und Riemanns Zielvorstellung, sie wurde allerdings nicht erfolgreich realisiert. Auch in der Folge strukturgrammatischer Untersuchungen ist Musik vielfach als eine Sprache mit Grammatik angesehen worden. Leonard Bernstein versuchte in seinen berühmten ›Harvard Talks‹7

, Parallelen von Chomskyscher Transformations-Grammatik und musikalischen Strukturen aufzuzeigen. Ein wesentliches Ziel war dabei, musikalische Universalien zu finden. Damit waren Strukturen gemeint, die analog zur Chomskyschen Universalgrammatik jeder Musik zugrunde liegen sollen. Weder war Bernstein der erste, der diesen Ansatz vertrat,8 noch ist seine Methode streng wissenschaftlich. Die direkte Übertragung sprachlicher Konstrukte wirkte, wie es Mattusch formuliert »in ihrer Einfachheit [...] provozierend« und wurde entsprechend kritisiert.9

9 Z.B. Mattusch (1997, S. 60), vgl. auch Lerdahl und Jackendoff (1983, S. 290–292,329).

Bernsteins Vorträge trugen jedoch dazu bei, die Idee einer strukturellen Beschreibung von Musik im Sinne einer Grammatik zu verbreiten.

Bei Riemann wie auch bei den generativen Modellen etwa von Sundberg, Roads, Bruhn oder Eberlein und Fricke wurde vor allem die Harmonik in den Vordergrund der Untersuchungen gestellt.10

Die Harmonik eignet sich besonders, da es mit der

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