Musik unterscheidet sich von Sprache durch die Prinzipien der Strukturierung.
Während in der Sprache Semantik und grammatische Organisation wesentlich für die
Strukturierung sind, sind es in der Musik Eigenschaften wie Ähnlichkeit und zeitliche
Regelmäßigkeit. Die Semantik und grammatische Eigenschaften von Worten werden erst
durch Kenntnis einer Sprache zugänglich und sind relativ unabhängig vom Klang oder
Schriftbild eines Wortes. In der Musik sind es die Eigenschaften der Motive, die stärker
von der Struktur der Noten selbst abhängen. Wiederholungen von Wörtern oder
Satzteilen sind i.a. nicht notwendig, sondern ihre Grammatik und Semantik reichen aus,
um eine klare Strukturierung zu bewirken. In der Musik sind dagegen Wiederholungen
oder Variationen notwendig, um eine Struktur erkennbar zu machen. Diese
Ähnlichkeitsbeziehungen sind bestimmend für die wahrgenommene Struktur von
Musik.
Im allgemeinen erwartet man daher von Musik, daß ihre Strukturen auch ohne Bezug
auf außermusikalische Inhalte erkennbar sind. Musik enthält zwar häufig Bezüge oder
Strukturen, die ohne spezielle Vorkenntnisse nur schwer zu erkennen sind, wie etwa
in der Bachschen Zahlensymbolik oder in der barocken Affektenlehre. In der
Mehrzahl aller Kompositionen gibt es aber auch Strukturen, die ohne diese
Vorkenntnisse zugänglich sind, da sie nicht in dem Maße vorausgesetzt werden können
wie die Kenntnisse der Semantik einer Sprache bei Muttersprachlern. Musik
kann zwar Bedeutung haben, diese ist aber weit weniger eindeutig, als in der
Sprache.
Die Kenntnis bestimmter Regeln, entsprechend der sprachlichen Grammatik, wird
dagegen häufig vorausgesetzt und ist bei vielen Stilen von Musik notwendig,
um überhaupt Strukturen erkennen zu können. Dies gilt insbesondere für die
Harmonik.
Eine Grammatik der Musik zu definieren, war bereits Helmholtz’ und Riemanns
Zielvorstellung, sie wurde allerdings nicht erfolgreich realisiert. Auch in der Folge
strukturgrammatischer Untersuchungen ist Musik vielfach als eine Sprache mit Grammatik
angesehen worden. Leonard Bernstein versuchte in seinen berühmten ›Harvard
Talks‹7
,
Parallelen von Chomskyscher Transformations-Grammatik und musikalischen Strukturen
aufzuzeigen. Ein wesentliches Ziel war dabei, musikalische Universalien zu finden. Damit
waren Strukturen gemeint, die analog zur Chomskyschen Universalgrammatik jeder
Musik zugrunde liegen sollen. Weder war Bernstein der erste, der diesen Ansatz
vertrat,
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ist seine Methode streng wissenschaftlich. Die direkte Übertragung sprachlicher Konstrukte wirkte,
wie es Mattusch formuliert »in ihrer Einfachheit [...] provozierend« und wurde entsprechend
kritisiert.
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Bernsteins Vorträge trugen jedoch dazu bei, die Idee einer strukturellen Beschreibung
von Musik im Sinne einer Grammatik zu verbreiten.
Bei Riemann wie auch bei den generativen Modellen etwa von Sundberg, Roads, Bruhn oder
Eberlein und Fricke wurde vor allem die Harmonik in den Vordergrund der Untersuchungen
gestellt.10
Die Harmonik eignet sich besonders, da es mit der