- 52 -Wollermann, Tobias: Zur Musik in der "Drei Farben"-Trilogie von Krzysztof Kieslowski 
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auf einer Matratze in dem ansonsten völlig leeren Haus, zu schlafen. Am nächsten Morgen sagt sie ihm, dass er sie vergessen soll, und bevor Olivier sich anziehen kann, verlässt sie ihn. Mit Absicht schrammt sie ihre Hand an einer Steinwand auf, so, als ob sie gefühllos gegnüber menschlichen Empfindungen geworden ist und sich auf den Schmerz, den ihr die Selbstverleumdung und Isolation bringen wird, vorbereiten will. Auch hier wird der Zuschauer wieder in das Wechselbad der Gefühle der Protagonistin einbezogen.

Der 3. Teil zeigt das neue Leben von Julie, ihren neuen Alltag, in dem sie aber immer wieder von der Vergangenheit heimgesucht wird, wie z.B. in Segment 28, in dem sie leidend vor dem blauen Leuchter steht und mit den Tränen ringt. Die darauf folgende schwarze Blende tut ihr Übriges um Julies Verfassung zu unterstreichen. In Paris versucht sie, ganz in Freiheit ohne jede Bindung, Verpflichtung oder Verantwortung zu leben. Sie schottet sich gegenüber ihrer Umwelt radikal ab. Zuvor hat sie sich allerdings um die finanzielle Versorgung ihres Hauspersonals und ihrer Mutter gekümmert, der sie erklärt: »Aber jetzt habe ich verstanden, dass ich nur noch eins tun werde: nichts; dass ich keinen Besitz mehr will, keine Erinnerungen, keine Liebe, keine Bindungen, keine Freunde.«9

9 Vgl. Einstellung 310; bevor sie dies sagt, wird in Einstellung 309 ein alter Mann beim Bungee-Jumping im Fernseher der Mutter gezeigt. Ein ähnliches Bild ist bei Julies zweitem Besuch zu sehen: ein Artist, der auf einem Hochseil balanciert – Synonyme für Julies Gefühlslage.
In diesem dritten Teil wird aber immer wieder deutlich, dass ihr Plan nicht funktioniert: Nicht nur durch die vier weiteren »Einbrüche«10
10 Zwei davon überwältigen sie im Schwimmbad (Segment 37 und 51), einer, als Antoine ihr im Café ihre Kette, die er am Unfallort gefunden hat, wiedergeben möchte und ein weiterer, als sie nachts im Treppenhaus sitzt, da ein Windstoß ihre Wohnungstür zugeweht hat (Segment 32).
, sondern auch durch Personen, die sie stören und sie auch zum Teil wieder an die Vergangenheit erinnern: die zusammengeschlagene Person, die nachts in ihr Treppenhaus flüchtet und klingelt, die Frau aus der Wohnung unter ihr, die versucht, Julie zum Unterschreiben einer Petition gegen Lucille zu bringen, Antoine, der sie direkt an den Unfall erinnert und ihr ihre Kette wiedergeben möchte, und Lucille, die sich bei ihr für die Verweigerung der Unterschrift bedankt, sie unabsichtlich auf den blauen Leuchter anspricht und schließlich feststellt: »Irgend etwas muss mit dir passiert sein!«11
11 Vgl. Segment 39
Zu Lucille entwickelt sich allmählich eine engere Freundschaft.12
12 Dazu vermutet Andrew: »There are hints that for Julie, Lucille – arguably the films most ›innocent‹ character in so far as, like a child, she happily goes about without underwear (Segment 51; Anm. d. Verfassers) and naively believes that anyone would, like her, enjoy exposing their naked body to the public gaze – perhaps comes to represent a surrogate daughter-figure.« (Andrew1998, S. 88)
Auch durch die Musik des Flötenspielers wird sie an ihre Vergangenheit erinnert, allerdings hier auf eine andere Art und Weise, denn diese Musik mag sie sehr.13
13 Dies wird am Deutlichsten im Segment 22, in dem sie mit Olivier das Konzert weiter komponiert und um Oliviers Antwort wissend, den der Flötenspieler auch an das Konzert erinnert hat, fragt: »Und an Stelle des Klaviers. . . «. »Eine Flöte«, antwortet sie leidenschaftlich. (Vgl. Einstellung 435)
Diese Musik ist ein Grund dafür, warum sie sich später doch dazu entschließt, das Konzert zu vollenden und aus ihrer Isolation auszubrechen. Den endgültigen Auslöser für den Umbruch, den Wendepunkt bergen die Segmente 55 und 56 in sich. Als Julie von der verzweifelten Lucille, die

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