- 94 -Wollermann, Tobias: Zur Musik in der "Drei Farben"-Trilogie von Krzysztof Kieslowski 
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Pariser U-Bahn und bläst auf dem Kamm, um ein wenig Geld zu verdienen (vgl. Segment 9). Er spielt die Melodie des in Polen sehr bekannten Volkslied »Der letzte Sonntag« (Ostatnia niedziela), das in den 30ern komponiert wurde:102
102 Dieses Lied scheint auch für Kies lowski selbst eine größere Bedeutung zu haben. Als für die Musik noch keine Idee vorhanden war, stand aber schon fest, dass Karol genau dieses Lied auf dem Kamm bläst. (Vgl. dazu (Stok1993, S.224)) Der Text wurde dem Presseheft zu Weiss, herausgegeben vom Concorde Filmverleih (München), entnommen.
Das ist unser letzter Sonntag.
Heute verlassen wir einander,
Heute trennen wir uns von einander
Für alle Ewigkeit.
Für Dich wird es noch viele solcher Sonntage geben,
Und wer weiß, was aus mir wird?
Das ist unser letzter Sonntag,
Und alle Träume die ich träumte,
Das so ersehnte Glück –
Vorbei.
Das ist unser letzter Sonntag,
Also verweigere ihn mir nicht
Sieh mich zärtlich an,
Ein letztes Mal.

(Musik: J. Peterburski – Text: Z. Friedwald)

Karol spielt das Lied entweder unbewusst, ohne den Text zu reflektieren, als Erinnerung an seine Heimat. Oder er spielt dieses Lied, da der Text auch auf seine momentane Situation zu passen scheint, obwohl er eigentlich den Abschied eines Soldaten, der in den Krieg ziehen muss, von seiner Geliebten beschreibt. Diese Melodie ist also mit einer bestimmten Bedeutung verbunden. Auch an dieser Stelle im Film scheint der Zufall wieder eine Rolle zu spielen, denn Mikolaj erkennt das Lied, als er Karol eine Münze in den Koffer wirft, und gibt ihm daraufhin auf polnisch denn Tipp: »Ich würd’ mal meinen Reißverschluss zumachen.« Nachdem Karol ihn fragt: »Verzeihung, woher wussten Sie eigentlich, dass ich Pole bin?«, sagt Mikolaj, dass er das Lied erkannt hat. Dieses Kammlied fungiert hier als »Auslöser« des weiteren Gangs der Handlung, denn ohne die Bekanntschaft mit Mikolaj wäre Karol wahrscheinlich nicht zurück nach Polen gekommen.

Als Karol und Mikolaj ihre neuen Geschäftsräume besichtigen, fängt Mikolaj an, die Melodie dieses Liedes zu singen. Daraufhin bittet Karol die Maklerin, ihm ein Taschentuch zu geben und fängt an, das Lied auf seinem Kamm zu spielen (Segment 51). Die Musik fungiert hier als Rückblende oder Rückbesinnung für die beiden und erinnert sie daran, wie weit sie es inzwischen gebracht haben: Als das Lied das erste Mal erklang, führte es dazu, dass sich die beiden kennenlernten. Damals hatte Karol nichts mehr zu verlieren, nun aber, als erfolgreicher Geschäftsmann, äußert er sich zur Lage des neuen Büros mit den Worten: »Hübsch hier. Ganz Warschau liegt uns zu Füßen.« Dieses Lied stellt also, direkt in die Handlung eingebunden, einen epischen Bezug zum Zusammentreffen von Karol und Mikolaj in der Pariser U-Bahn und den entsprechenden Umständen her. Es markiert jedoch nicht nur den Anfangs- und Höhepunkt von Karols und Mikolajs geschäftlicher Zusammenarbeit,


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