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Johann Gabriel Seidl: Der Leiermann

Es pflegt sich nun einmal manches schon

So seltsam zu gestalten;

Und wären wir nicht so prosaisch kalt,

Wir müßten’s für Märchen halten.



Wer die sogenannte Trinkkuranstalt auf dem Wasserglacis in Wien gleich bei ihrem Entstehen besucht hat, dürfte sich wohl eines Leiermannes erinnern, welcher da, wo sich die Alleen kreuzen, seinen Leierkasten aufgestellt hatte und in den Nachmittagsstunden nicht ohne Zuspruch blieb. Um diese Zeit nämlich, wo sich ein großer Teil der Kinder Wiens mit ihren Ammen, Kindsweibern, Gouvernanten, Hofmeistern und Eltern einfindet, um bei sinkendem Abend der vornehmen Welt den Platz zu räumen, pflegte sich auch damals ein ziemlich belebter Kreis um den Spielmann zu bilden, der dem stillen Beobachter keine uninteressante Gruppe darbot.


In der Mitte stand der Spielmann, ein bärtiger Invalide mit buschigen Augenbrauen, unter welchen ein widerlich lächelndes Auge hervorblitzte; mit einem dichten Schnurrbarte, der halb schwarz, halb grau über die aufgeworfenen Lippen hing; in grauer Jacke, dunkelfarbiger Reithose mit weißen Seitenknöpfen und mit einem Stelzbeine, das er gewöhnlich weggeschnallt und dem Stumpfe seines Schenkels nur leicht als Stütze untergeschoben hatte. Neben ihm auf einem kleinen Feldsessel saß ein Junge mit halbverbundenem Gesichte, in einer Hand ein Tamburin, worauf er mit der andern, ebenfalls verbundenen Hand, ganz dumpf und taktlos die Melodie der Drehorgel begleitete. Diese Melodie selbst bestand aus einem alten, mühseligen Deutschen, welche das Ohr um so mehr beleidigte, da einige Pfeifchen ganz fehlten, andere verstimmt waren, andere aber nachpfiffen, und der Baß durchgehends um einen so unbedeutenden Teil eines Tones zu hoch war, daß man glaubte, man müsse ihn eine Haarbreite hinabdrücken. -»Hollah! meine großen und kleinen Herrchen und Frauchen! Belieben Sie meine kleine Tanzgesellschaft zu beachten. Der Eintritt kostet einen kleinen Kupferkreuzer, auf einem Groschen liegt keine Strafe.« - Mit dieser Einladung pflegte er das Kinderpublikum, in dessen Seele noch jeder Mißton zur Harmonie wird, herbeizulocken und zur Betrachtung seines mechanischen Theaterchens, welches den obern Teil seiner Drehorgel einnahm, aufzumuntern. Scharenweise liefen dann die Kleinen hinzu; und so kam es dann auch, daß ich selber mehr als einmal, wenn ich mit den Kindern meiner Freunde spazieren ging, was ich nicht ungern tat, hinzutrat und die verwunschene Tanzgesellschaft, wie er es nannte, mit ansah. Meine größere Lust fand ich da wohl an dem Kindergetümmel, welches rings umher lebte und webte. Hier sah


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